Review of Blissard taken from the
German indie-magazine
SPEX #4 / 1996.
In German. Review found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thx to Jeanette!
Motorpsycho - Blissard
Stickman Records / Indigo
Motorpsycho sind in Norwegen so bekannt wie Sergio Leone in einem Western-Saloon. Nach
einer Handvoll Veröffentlichungen ohne Polarlichter kam '93 die Doppel-LP
»Demon Box«, mit zwei je 30-minütigen EPs im Anhang (alle auf Voices of
Wonder erschienen). Die Rücksichtslosigkeit, mit der Motorpsycho dabei die Gesetze des
Gitarren-Undergrounds außer Kraft setzten, garantierte ihnen selbst in der Polarnacht
einen Platz an der Sonne.
Mit einem Mal befand man sich an einem Punkt der Entwicklung,
der keinen Schritt zurück zugelassen hätte. Das Nachfolgealbum »Timothy's Monster«
versuchte auf fünf LP-Seiten ein Pyramiden-ähnliches Gebilde zu erschaffen, das in seiner
Monumentalität nur einige Halbwahrheiten von 70er-Jahre-Ikonen entfernt war. Ein
notwendiger Schritt, nachdem auf »Demon Box« alles verwendet, alles negiert wurde,
um sich nun selbst und die Vergangenheit ad absurdum zu führen. Und ähnlich wie
Air Liquide oder The Bionaut hier-zulande, revitalisierten Motorpsycho 1994 indirekt die
skandinavische Abteilung des Harvest-Labels: ein Statement und ihr Heimathafen.
»Blissard« nun, aufgenommen in den ehemaligen
Abba-Studios in Stockholm, ist nicht der Gipfel des Genusses, vielmehr eine Überraschung
für all diejenigen, die wissen, wie schwer es ist, auf einem zu 71,4% unproduktiven Boden
einen ständig mit den Augen zwinkernden Salat anzupflanzen. Ungewöhnlich knapp,
ungewöhnlich klar, und dabei immer knackig.
Doch trotz Ausflügen zu Sebadoh, perfektionierten
Improvisationen à la Sonic Youth (ca. »Daydream Nation«) und klassischem
Indie-Rock – das letzte Stück »Nathan Daniel's Tune From Hawaii«
könnte genauso gut auf Harvest-Germany erschienen sein und macht ähnlich gespannt auf
die Zukunft, wie die der artverwandten The Notwist. Beide beweisen, daß die
eurokontinentale Popmusik weder tot noch ausgereizt ist. »Blissard«
ist ein Kastrat mit voluminöser Stimme. Das Ende sucht die Öffnung.
Uwe Viehmann