Article / Interview
taken from the German fanzine
FREIZEITMAGAZIN #3 / April 1995.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!
Es soll tatsächlich Leute geben, die beim Kauf eines Tonträgers zunächst eindringlich
das Preis-Leistungs-Verhältnis prüfen, hierbei neben der musikalischen Qualität besonderes
Augenmerk auf die Spieldauer werfen. Alles getreu nach dem Motto "Wieviel Musik erhalte
ich für mein Geld?". Nach diesem Kriterium wäre der Käufer von Dinosaur Jr.'s 'Bug' mit
36 Minuten her dürftig bedient. Der Preis einer Minute Musik beliefe sich auf annähernd
eine Mark. Pavement sind mit über 40 Minuten 'Crooked Rain Crooked Rain' schon generöser,
können sich aber nicht aus dem Schatten des gigantischen Klangbergs 'Timothy's Monster'
herausmanövrieren ...
Aber fort von nichtssagenden bis kalkulierbaren Zahlen. Es geht um Musik, also Kunst, deren
Wurzeln rein geographisch betrachtet in Skandinavien liegen. Trondheim ist eine
mittelnorwegische Hafenstadt mit etwa 140.000 Einwohnern, Industrie und einer Universität.
Bent - Sänger und Bassist - charakterisiert sie als ein größeres Dorf, und ich will nicht
wissen, was er nach dem nachmittäglichen Rundgang von Marburg denkt. Offenbar lebt man in
größeren Dimensionen.
"Trondheim ist ziemlich abgelegen. Das wirkt sich auch auf die Mentalität der Leute aus
... aber wir mögen es trotzdem, und ein paar gute Bands existieren natürlich auch, oft
vebunden mit dem Indielabel 'Progress'. Wichtig für diese Bands ist unser Squat 'The
Fudge'.
Bent blickt mich aus einem mit Ringen unterlaufenen Augenpaar an. Nachdem Karsten, Clemens
und ich der Band geholfen haben, immense Mengen an Instrumenten im weitesten Sinn aus dem
Tourbus zu befördern, begaben wir uns in den Keller des KFZs, wo Bent während unseres
Gesprächs versucht, seine körperliche Müdigkeit ansatzweise in Kaffee zu ertränken.
Deathprod. gesellt sich zu uns, blaß und abgemagert.
"Er leidet an einer Infektion", erklärt Bent. "Gestern in Frankfurt haben wir sogar
nur zu dritt gespielt. Alles, was wir bräuchten, wäre einfach ein bißchen Ruhe."
Ich lasse die Bandgeschichte Revue passieren und komme zu dem Ergebnis, daß MOTORPSYCHO
diesen Begriff schon lange aus ihrem Wortschatz gestrichen haben müßten. Sie begannen
1989, veröffentlichten seit 1991 vier Alben und mindestens ebenso viele Mini-LPs / CDs und
sind im Moment auf ihrer vierten Europatournee. Daneben existieren die Nebenprojekte
'Tussler' und 'Voider', wobei letzteres während der Motorpsycho-Tour in Weilheim
entstanden ist. Einen Song gibt es sogar schon auf der "Wearing Yr. Smell"-Maxi zu hören.
Der Rest erscheint demnächst auf einem der drei Weilheim-Labels. 'Tussler' besteht in erster
Linie nur aus Snah und Bent. Beide kennen sich schon seit ihrer Schulzeit und liefern ein
akustisches Countryalbum ab, von welchem Indigo in Hamburg 15.000 Exemplare veröffentlichen
wird.
Man kennt diese Art von toter Kommunikation im täglichen zwischenmenschlichen Leben. Abends
auf der Party ein erstarrter Blick in die Leere, nervöse Depression in den Augen des
Gegenüber oder einfach nur Austausch von Oberflächlichkeiten. Minimalkonversation wäre
fast schon zuviel gesagt, eher unerträgliche Stille. Das sind u.a. meine Assoziationen
mit dem obengenannten Titel, wobei diese Herangehensweise genau in Bents Sinn ist. Durch
sie entsteht eine Kombination aus innerem Monolog und Kommunikation.
Bent: "Auf der einen Seite schreibe ich die Lyrics für mich und weiß deshalb, von was die
Lieder sprechen ... aberdas möchte ich niemandem verraten. Das Schöne an Texten ist doch,
daß die Leute sie sich zu eigen machen können. Wenn ich einen Song geschrieben habe,
betrachte ich ihn als abgeschlossen, und er beginnt jedem zu gehören. Laß die Worte bedeuten,
was sie für dich individuell bedeuten sollen, wie du sie verstehst ... und das ist auch der
Grund, weshalb wir sie nicht abdrucken."
Was sind eigentlich Deine Einflüsse in zeitgenössischer Musik?
Erstmal Sonic Youth und daran anschließend diese ganzen Sebadoh, Sentridoh,
Pavement-Sachen ... wirklich meine absolute Leidenschaft.
Und Deine Wurzeln?
(Überforderung) Oh, alles in den letzten dreißig Jahren der Rock'n'Roll-Geschichte:
Sixties - Psychedelic, Seventies Progressive, Country-Musik, Punk, aber weniger 80er
Jahre Musik ("... because the eighties really sucked.")
Meiner Meinung nach ist 'Timothy's Monster' viel weniger Monster, dafür ruhiger als z.B.
'Demon Box'.
Ja, wahrscheinlich. Dieses ganze Heavy Metal-Ding hat uns aufgrund seiner
Eindimensionalität gelangweilt. Also fingen wir an, Lieder einer neuen Art zu schreiben,
Pop Songs zu machen, um seltsame Lieder etwas besser und abwechslungsreicher
auszugestalten.
Siehst Du Deinen Lebenszweck/-ziel als Musiker erfüllt, oder kannst Du Dir vorstellen,
mal etwas ganz anderes zu machen?
Musik ist eine Möglichkeit für mich, mich als menschliches Lebewesen auszudrücken,
und das ist wichtig. Auch hier kannst du einen Grund sehen, warum wir nicht an einem
Stil festhalten. Als Mensch kannst du glücklich, traurig oder böse sein, allgemeingesprochen
Gefühle haben. Also reflektiert die Musik das, was man wirklich ist. Nicht eindimensional,
keine Cartoon-Musik: So sind Motorpsycho - Alben Schnappschüsse von den Menschen, die wir
zu den gegebenen Zeitpunkten gerade waren.
Glaubst Du, das sich das in Form von Gitarrenmusik immer weiter entwickeln wird, d.h.,
daß diese Art von Musik eine Zukunft hat?
Ich weiß es nicht, schwierig. Wir machen nur unsere kleinen Songs, und wir schreiben sie
auf Gitarren, also spielen wir sie auch auf Gitarren. Weißt Du, viele Trends entstehen die
ganze Zeit. Nimm Hip Hop, Funk Punk oder Crossover, nenne es wie Du willst. Ich glaube,
das hat keinen Bestand. Es gibt keinen Weg, wie du das ausbauen kannst, alles ist so
speziell definiert. Ich bin überzeugt, daß uns Rage Against The Machine nie mehr
überraschen werden, es wird langweilig.
Ich halte es vielmehr für ein Klischee, in dem die meisten Bands untereinander austauschbar
sind.
Ja, darauf läuft es hinaus. Ich versuche in unsere Musik etwas Geheimnisvolles,
Unidentifizierbares ganz tief einzuarbeiten. Da liegt der Grund für meine Verehrung von Bands
wie Sebadoh oder Sonic Youth. Sie schreiben wunderbare Songs und ziehen ihr absolut eigenes
Ding durch, speziell Sonic Youth.
Apropos Sonic Youth, ich habe gelesen, daß Du an einem Buch mitschreibst, zu welchem auch
Thurston Moore und Henry Rollins ein Kapitel beigesteuert haben?
Was? (Gelächter) Naja, vielleicht wartet ein Brief zuhause auf mich, wenn wir wieder in
Trondheim sind. Das wäre wirklich schön ...
Kennst Du das Visions? Von dort habe ich diese Information.
Ach ja, der hat davon gesprochen. Aber er war auch ziemlich betrunken, wie wir ... Der
ganze Artikel war bullshit. Er entstand während unserer Vorab-Promotiontour. Wir mußten
jeden Tag mit Leuten sprechen, acht Interviews an einem Tag. Schrecklich.
Wie ernst ist das eigentlich mit den ganzen Satanismuskulten in der norwegischen
Musikszene?
Deathprod.: Ich kenne diese Bands nicht.
Bent: Was ist das überhaupt? Ein Haufen heruntergekommener Typen, die sich gegenseitig
aufstacheln zu töten, Kirchen in Brand zu setzen usw. Im Endeffekt mutiert das in einen
Faschismus ... Das ist so dumm, sowas kann man nicht rechtfertigen.
Sicher nicht. Nochmal ein Themenwechsel: Ist es für Euch wichtig, die Musik in Form von
Videos usw. zu visualisieren?
Bent: Nein, eigentlich nicht. Videos entstehen eher im kleinen Rahmen, innerhalb unserer
kleinen Familie. Beim letzten Dreh für Wearing Yr. Smell haben wir uns einfach auf unsere
Fahrräder geschwungen und sind durch die eigene Nachbarschaft gedüst. Das war sehr leicht
und hat uns 800.- DM gekostet, Low-Budget.
Deathprod.: Der Mensch, der die Cover macht, hat seinen eigenen Stil, und wir geben ihm
alle Freiheit, die er haben will. Das Cover von Timothy's Monster hat in Norwegen eine
Auszeichnung für das beste Cover bekommen.
Abschließend natürlich noch Clemens' Lieblingsfrage. Der Stellenwert des Equipment, oder gar
eine Ideologie hiner der Auswahl ...
Bent gerät ins Schwärmen. Seine Augen beginnen zu leuchten, wie die eines kleinen Kindes
im Spielzeugladen, und er begibt sich mit uns zur Bühne, an deren Rand alle
Motorpsycho-Bässe und Gitarren in einer wirklich langen Halterung aneinandergereiht sind.
Was nun folgt, ist eine ausführliche Geschichte über jedes einzelne Instrument, welche meist
schon in den Sechzigern ihren Ursprung nimmt, eben Vintage, wobei die Begeisterung auf beiden
Seiten ins Unermeßbare steigt.
Wie gerne würde ich abschließend versuchen Ausdrücke für diese Musik zu finden, sie mit
Sprache auszugestalten, oder mit Worten in ihr zu versinken. Anstrengungen scheiterten.
Vor mir liegen vier zerknüllte DIN A4 Zettel mit allerlei durchgestrichenen Ansätzen.
Am Schluß stand jeweils die Unterrepräsentation, vielleicht meine Unfähigkeit,
vielleicht das Ende von allem Erklärbaren. Beim Lesen des Presseinfos dreht sich mir schon
der Magen um: Post-Grunge im Nirvana, Sixties-Psychedelic meets Monster Magnet und
Ähnliches.
Für mich eher absolute Ehrlichkeit, Tiefe, ein sich nicht Festlegenwollen im Stil, und
trotzdem einheitliche Konsequenz in Bezug auf die vermittelte Stimmung. In 16 Minuten
praktiziert man die ultimative Auflösung des Raum-Zeit-Verhältnisses und ist dabei
genauso persönlich wie die Dauergänsehaut im minimalistischen Low-Fi-Geschrammel.
Keine Begriffe, natürlich keine Objektivität. Dafür das wunderbare Coverartwork neben
dem Gesichtsausdruck eines Freundes beim Hören dieser Musik als Möglichkeit der
Repräsentation von intensiver Erfahrbarkeit. Ohne Worte.
Text: Sven Opitz
Interviewsupport: Clemens Niedenthal