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  [media stories: german: 1996]



Motorpsycho - Trondheim rules

Article
taken from the German magazine
INDIGO NOTES, 1996.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Motorpsycho ist mein Lieblings-Russ-Meyer-Film, aber die Band Motorpsycho dürfte mittlerweile auch in unseren Breitengraden mehr als bekannt sein.

Das Quintett Motorpsycho ist auf jeden Fall Norwegens populärster Underground-Act. Sie stammen aus Trondheim, einer kleinen Industriestadt im nördlichsten Zipfel des Landes und sie entwickelten seit ihrer Gründung 1990 einen ureigenen Stil aus Psychedelic, Folk, Pop, Metal und Industrial. Das Ganze inszenieren sie in einem schweren, 70er-beeinflußten Progressiv-Metal-Kontext zwischen schwerst eingängigen Gesangshooklines, Gitarrenstakkatos, Noiseeruptionen und sanft-magischen Momenten der Ruhe (vor dem Sturm...).

Motorpsycho tourten mehrfach höchst erfolgreich durch halb Europa, in Deutschland, Italien und Holland sind ihre Events nahezu immer ausverkauft. Sie brachten es in ihrer fast sechsjährigen konstanten Bandexistenz auf fünf hervorragende Longplayer, diverse EPs und 7-Inches, von denen das letzte Album (Dreier-LP und Doppel-CD) bisher das erfolgreichste war. Timothy's Monster trug seinen Namen zu Recht, dieses musikalische Gefühlspanoptikum, mit diversen über 15minütigen Klangtrips versehen, sprengte den von Motorpsycho etablierten musikalischen Qualitätsstandard nochmals aufs Gigantische - das Album wurde von den Kritikern völlig berechtigt und nahezu einhellig abgefeiert. Im Sommer 1995 erfolgte dann eine extrem erfolgreiche Europatour, Auftritte auf dem renommierten "Dynamo-Festival", während der "PopKomm" in Köln und auf vielen anderen Open-Airs in Europa. In den USA und Australien gab es zudem erstmals eigene Veröffentlichungen und so war es schließlich an der Zeit für ein neues Album.

Und hier ist es, hier ist Blissard! Die zehn neuen Songs (wirklich zehn...? / Wk) bewegen sich stilistisch etwas weg vom Vorgänger, hier dominieren (fast) durchgängig kürzere, prägnante Songs. Natürlich lassen aber auch hier die guten alten 70er grüßen. Wie seinerzeit Led Zeppelin nahmen Motorpsycho im ehemaligen Abba-Studio in Stockholm auf, die Produktion ist fett und mächtig. Sie schöpfen in ihren Songs - ähnlich wie auch Sonic Youth, Pavement oder Sebadoh - aus einem geschmackvoll zusammengestellten Füllhorn ausgesuchter Zitate und Hommagen oder auch Verfremdungen zeitgenössischer Populärkultur, sie nehmen sich, was sie für ihre Musik brauchen, und drehen es durch den eisernen Wolf...:

Sinful, Wind-Born beginnt elegisch mit durchbrochenen, verhaltenen Gitarren, bevor das eigentliche, das treibende Riff einsetzt, melodische Gitarrenstakkatos und eindringliche Gesangslinien mit viel Popappeal und musikalischen Irritationselementen - ein "alternative blizzard" ganz eigener Art, der da durch die Gehörgänge tobt.
Drug Thing ist ein urbanes, hektisch treibendes Monster mit intensiven Stemmeisen-Gitarrensoli, mysteriösen Knirsch-Samples und hypnotischem Gesang - in diesem Sinne wird das Stück seinem Namen mehr als gerecht, es schickt uns auf eine halluzinative Achterbahnfahrt mit mindestens zwei Loopings direkt in die Hölle.
Greener empfängt seine Hörer mit majestätischen Gitarrenwällen, bevor eine mehrstimmig vorgetragene Gesangsmelodie Synapsen wie Herz streift, ein fast zarter Song, voll von spannenden, uns fast in Trance versetzenden Ruhemomenten zu hymnischen Feedbackschleifen und heftigen Noiseexplosionen. Komplettiert mit deutschsprachigen Kirchenfunk-Samples servieren Motorpsycho uns hier ein diffiziles Wechselbad der Gefühle.
'S Numbness öffnet sich mit hämmernden Stakkatos im Headbanger-Kontext, treibt die Rhythmusgruppe zu Rasiermesser-Gitarrenangriffen. Mooglines voll wunderschöner kleiner zischender Melodien, aber gerade wenn es am schönsten ist - ist es vorbei. Wie im richtigen Leben.
The Nerve Tattoo tarnt sich als "alternative hit". Hier ist ein schwebend leichter, schwer melodiöser Song mit indischen Streichern, aus dem Sampler natürlich, mit geheimnisvollen Oscillatorensounds, verwehten Feedbackschleifen, schwer vorwärtsstürmenden Rhythmen. Man findet sich plötzlich in einer auralen Landschaft aus detonierenden Noises à la A Day In The Life - eine Hommage an das berüchtigte Ende des Beatles-Songs.
True Middle kommt mit extravaganter Psychedelia und Telefonstimme, Black Sabbath-Hooks, schwebenden Mellotron-Loops, berührenden Akustikgitarren und Supernovaexplosionen - im Ozean der Schwarzen Löcher, geheimnisvoll, unergründlich.
S.T.G. ist ein knallig-knirschender Psycho-Gitarrenkracher auf der Überholspur, mit intensiven Hardrockriffs auf dem Highway To Hell, headbanging included. Hier ist das Höllenfeuer wirklich noch heiß, voller nuancenreicher Innovationen.
Manmower ist eine geheimnisvolle Ballade mit Pianogimmicks, einer unter die Haut gehenden Hookline, wiederum Akustikgitarren, wunderbaren Orgelsoli und richtig zu Herzen gehenden Chören.
Fool's Gold beginnt ebenso im Akustischen mit betörend dichtem Gesang, endet aber in einem eindringlichen Gitarren-Outro, im Banjo-Stil gepickt.
Mathan Daniel's Tune From Hawaii ist das magische Ambient-Industrial-Outro des Albums, so schwebend wie ein Silver Surver im All und ein mehr als würdiger Schluß für Motorpsychos gigantische Soundkathedrale. Diesen Track remixte Deathprod - Keyboarder der Band, der unter seinem Namen ein weirdes Sideproject betreibt mit eigenen Releases (auch über Indigo zu beziehen).

So haben Motorpsycho hier mit Blissard nicht nur ein weiteres Meisterwerk - bzw. "Monster"! - geschaffen, das nach jedem Hören mehr in den Himmel wächst. Viel mehr entstand hier ein vielseitiges, vielschichtiges, mitunter schwer säurehaltiges, mit allen Gefühlsnuancen durchzogenes naturereignishaftes Alternativ-Album von internationalem Format, an dem andere große Namen dieses Genres sich erst einmal messen lassen müssen. Ein Album, das seinen Voraussetzungen nach noch wesentlich erfolgreicher werden dürfte als Timothy's Monster. Dieser Blissard ist mehr als ein unvergleichlicher Brainstorm, vielmehr entstand hier ein auraler Gigasaurier, schwerst zeitloser Kult! Trondheim rules!

Ein Nachsatz: Die CD kommt normal einfach, die Vinylausgabe kommt als oberkultige Doppel-Maxi. Frei nach dem norwegischen Sprichwort: "Kult as Kult can"... /Wk

Jmm