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  [media stories: german: 1997]



Von Engeln und Dämonen

Article around Angels And Daemons At Play
taken from the German magazine
INDIGO NOTES #41 / April 1997.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!

Motorpsycho (der gleichnamige Russ Meyer-Film diente ihnen natürlich als Namensstifter) sind Norwegens bekanntester Exportartikel in Sachen Popularmusik.

Die kommen aus der Industriestadt Trondheim und musizieren seit 1988 zusammen. Ihr unaufhaltsamer Aufstieg begann mit dem Release von Lobotomizer, das 1991 auf Voices Of Wonder erschien. Spätestens mit der Veröffentlichung ihrer Demon Box wurde der Name Motorpsycho auch außerhalb Skandinaviens zum hochgehandelten Begriff. Ihre so typische Mischung aus brutalen Popklängen und psychedelisch ausufernden Progressivrock-Elementen fand schnell eine treue und verläßliche Fanbasis und die Presse überschlug sich mit begeisterten, euphorischen Reviews und Artikeln. 1993 tourte die Band ausgiebig durch ganz Europa und brachte anschließend mit Another Ugly EP und Mountain zwei EPs heraus, die den schwer einzuordnenden Charakter der Band weiter zementierten. Nach Auftritten auf diversen Festivals (u.v.a. in Roskilde) gingen sie erneut ins Studio, um die Songs für Timothy's Monster einzuspielen. Zeitgleich wechselten sie ihre Plattenfirma und bei uns veröffentlichen sie jetzt auf Stickman Rec., das außerhalb ihrer Homebase zum Erfolgsgaranten für Motorpsycho werden sollte. Mit Timothy's Monster brachten sie ihre stete Gratwanderung zwischen emotional-urbanen Rocksongs, abgehoben-spaciger Psychedelia und unpeinlicher Popmusik vom feinsten auf den magischen Punkt. Dieses vielschichtige Werk erschien als 2er-CD- und 3er-LP-Set inkl. Gravur und Poster und wurde so zum Objekt der heißen Begierde für alle Klang-Jäger und-Sammler und unterstrich weiter den mittlerweile weltweiten Kultstatus der Norweger. 1996 erschien dann Blissard, das bisher wohl durcharrangierteste und poplastigste Album der Band. Wieder folgte eine ausgedehnte Europatour (Deutschland, Benelux, Italien und Skandinavien), zwei weitere EPs (Manmower und Nerve Tattoo), die von Videoclips begleitet waren, und eine Splitsingle mit Alice Cooper (die Legende lebt!). Und da heutzutage die Zeit noch schneller vergeht als früher (die Expertenrunden der NOTES-Redaktion zerbrechen sich darüber pausenlos die hübschen Köpfe), kann man - bzw. ich - nun an dieser exponierten Stelle wiiederum von einem brandneuen Motorpsycho-Album berichten, betitelt Angels And Daemons At Play. Das neue Baby wurde von der Band in Eigenregie produziert und wird sowohl als CD wie auch als Doppelvinyl (mit einigen Bonustracks) erscheinen. Und das Album glüht nur so vor kraftstrotzenden, ideenreichen Songs, deren vielfältige Charaktere und buntschillernden Arrangements sich dem Konsumenten erst nach mehrmaligem Hören ganz erschließen. Vom verstiegenen Cover-Artwork bis hin zu den unterschiedlichen musikalischen Stimmungsbildern drehen Motorpsycho hier einmal mehr ihren ureigenen Film und der entpuppt sich als wirklich großes Klang-Kopf-Kino.

Sideway Spiral I eröffnet den Zugang zu ihrem Universum mit Psychedelic pur, singender Säge, flirrender Orgel, Akustikgitarren, einer wunderbaren Gesangsmelodie in bizarren Räumen und mit pluckernd-zischenden Analogsynthesizern. Walking On The Water ist ein gleichermaßen psychedelisch angehauchter Rocker aus dem Niemandsland zwischen den Stooges und Union Carbide Productions im Eight Miles High-Kosmos. Heartattack Mac wiederum kommt als ein ausufernder Prog- Rock-Mutant aus pur-roher Psychoakustik, Monstermagneten und Raumschiffabflugs- Psychedelik etwa der frühen Pink Floyd, mit Headbangergarantie. Pills, Powders and Passionplays (a.k.a. Miss Mitchell In The Ladies Room) ist ein hochmelodiöser Akustikkracher mit Byrds / Roger McGuinn-12saitigen-Einschüben und verhaltener Bodenhaftung auf der Abflugsrampe. In The Family verquickt mystische Pianoperlen mit generösen Gitarrenriffs und einer magischen Gesangslinie. Un Chien d'Espace belegt die Schnittstelle von Prog-Rock und Psychedelik, als träfen die Stooges auf die King Crimson aus der Ära von Starless And Bible Black. Hier entstand der Soundtrack für den mentalen Besuch im nächsten Universum, hier tragen vielfältige Gitarreneffekt-Triebwerke das Mutterschiff geradenwegs ins endlos erscheinende All. Sideway Spiral II erweitert das betont verspielte Grundthema des Openers zum wunderschönen, mehrstimmig gesungenen Hitkracher. Like Always ist der treibend-fulminante Rocker auf der Überholspur, Stalemate ein sanftes Seelenbekenntnis mit Samenzieherqualitäten, eine Psycho-Kuschelrock-Orgie im Schwebezustand. Starmelt / Lovelight könnte als Motorpsychos persönliche Helter Skelter-Hommage gewertet werden, pluckernde Analog-Synthies und mehrstimmige Sägezahngitarren schicken den Hörer ins echolastige Gegenuniversum, bevor dann Timothy's Monster schonungslos seine echten Monsterqualitäten offenbart und uns mit Wah-Wahs und Distortions im Eruptionskontext in die aggressive Weirdness schickt.

Eines dokumentiert sich hier ganz deutlich: Motorpsycho gehören zu den wenigen Bands, die sich durch Hartnäckigkeit, Integrität und Phantasie eine solide Basis geschaffen haben, von der aus sie die verschiedensten genialistischen Eskapaden unternehmen können, ohne ihre Identität zu verlieren. Der Titel des phantastischen Albums, Angels And Daemons At Play, trifft so ziemlich punktgenau seine musikalische Grundstimmung. Von dieser wunderbaren Band wird es noch viel Großes (bald!) geben, doch hören wir erst einmal in Ruhe den Engeln und Dämonen beim Spielen zu. Das ist so ziemlich das Beste, was man zur Zeit nur machen kann!

Jmm