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  [media stories: 2002: german]




GITARRE POP
Norwegen – Bergen / Trondheim
Rec90. The Poor Rich Ones. Magnet. Lorraine.
Sister Sonny. Motorpsycho. Pop aus den Fjorden

Excerpts from an article about the Bergen scene
– an interview with Bent –
taken from the website of German magazine
INTRO, 2002-09-27.
In German. Found at the intro site.


Bergen, Norway
 

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Bergen vs. Trondheim

Eine Norwegengeschichte wäre keine solche, würden nicht auch Motorpsycho in ihr auftauchen. Ihr neues Album "It's a Love Cult" ist – wer ist überrascht? – in seinem Abwechslungsreichtum mal wieder überaus faszinierend und in seiner Spielenergie schwer zu übertreffen. Die Songs wachsen erneut über die Band hinaus. Oder umgekehrt? Bassist / Sänger Bent Sæther sagt über den Auftakt-Song "Überwagner Or A Billion Bubbles In My Mind": "Wir hörten uns den Mix an und dachten: 'Hui, Mann, das wird ja immer größer.' Als dann am Ende des Songs das Orchester aufspielte, hieß es nur: 'Das ist fast zuviel, das ist ja schon fucking Überwagner.'" Am Ende bot sich den drei Trondheimern "fast schon eine Rock-Oper" dar. Doch in der Gesamtschau löst sich die Gefahr, zu nah an ein reaktionäres Pathos heranzureichen, bei Motorpsycho stets in Luft auf. So mystisch die Texte des Science-fiction-Liebhabers und Langstrecken-Vegetariers Bent oft daherkommen, Motorpsycho besitzen die nötige Eigendistanz ("Wenn ich zurückschaue auf das, was wir vor zehn Jahren gemacht haben, erkenne ich den Typen gar nicht mehr, der das damals gesungen hat.") und eine gesunde Ladung unterkühlten Humor. Zeit, Bent mal nach grundsätzlich norwegischen Mentalitäten zu fragen.

Hast du musikalische Kontakte zu Bergen?
Wir spielen dort seit zehn Jahren circa zweimal im Jahr. Wir kennen einige Leute dort, auch Bjarte Ludvigsen. Man sieht sich immer mal und trinkt ein Bier zusammen. Mal haben die einen Synthesizer, den wir ausleihen wollen, mal wollen die auch etwas von uns leihen, so normale Musikerbeziehungen eben. Gephard kennt den Produzenten von Sister Sonny ganz gut, Jörgen Traeen.

Trondheim liegt ja noch ziemlich weiter nördlich. Fühlt man sich da irgendwie isoliert?
Nicht wirklich, außer vielleicht auf die Weise, dass die Stadt keine Szene oder ein Musikbusiness aufweisen kann. Es ist alles ruhig und normal und fühlt sich wie zu Hause an. Man kann sich entspannen und muss nicht die ganze Zeit Motorpsycho sein. Denn wenn man nicht arbeitet, will man ein ganz normaler Typ sein und seine Milch im Laden kaufen. Man hängt nicht mit anderen Rockbands ab. Man trifft Leute und Freunde, die etwas anderes tun. Zum Beispiel spielen wir Fußball. Wie heißt das doch gleich, wenn man in seiner Gemeinde so ein Team zusammenstellt und gegen die Polizei oder die Post spielt?!

Gibt es einen Mentalitätsunterschied zwischen Bergen und Trondheim?
Oh ja! Die größte Rivalität gibt es zwischen unseren beiden Fußball-Teams. Das ist historisch so gewachsen. Leute aus Trondheim mögen die Leute aus Bergen eben nicht besonders. Wir sind wohl verschiedene Stämme, nehme ich an. Das zeigt sich bestimmt auch in ihrer Beziehung zur Musik. Es gibt reichlich Stereotypen. Wir in Trondheim sind angeblich berüchtigt dafür, dass wir sehr langsam seien und einen spröden Humor hätten. Und wenn wir besoffen sind, wären wir sehr aggro. Und jeder hat einen Schnauzbart. Während in Bergen alle einen Motor-Mund hätten. Blablablablabla. Und meistens redeten sie über Dinge, von denen sie keine Ahnung hätten. Es gibt all diese Vorurteile. Und auf ihren Akzent sind die Bergener auch sehr stolz. Bergen ist schon eine sehr norwegische Stadt. Das Land wäre sehr viel ärmer, wenn es sie nicht gäbe.

Was hältst du von Rec90?
Das ist ein sehr gutes Label, und es ist für die lokale Szene in Bergen wirklich äußerst wichtig. Die bringen schon seit einigen Jahren eine Menge gutes Zeug heraus. Ich wünsche Torfinn alles erdenklich Gute.

Es scheint jedenfalls eine Aufbruchstimmung für norwegische Musik zu geben.
Ja. Es tut sich wieder etwas. Ich meine, es gab schon mal eine große Aufmerksamkeit für norwegische Musik. Als wir anfingen, waren norwegische Bands wie So Much Hate und Life's How You Live It einigermaßen groß in der deutschen Szene. Dann verflüchtigte sich das nach und nach, als das Grunge- Ding ausstarb. Erst in den letzten drei oder vier Jahren hat es wieder begonnen. Plötzlich tauchen neue Bands auf wie Gluecifer und die Bands aus Bergen. Es ist toll, dass auch andere Bands außer Motorpsycho etwas in Deutschland erreichen können.

Gibt es deiner Meinung nach einen besonderen Unterschied zwischen dem Leben in Norwegen und dem im kontinentalen Europa?
Ich vermute, dass es Unterschiede im Denken gibt. Nicht so sehr in der Musik, denn man hört ja auch keine norwegische Folklore aus unserer Musik heraus. Aber die Lebensperspektive – und wie man die Welt insgesamt sieht – ist eine sehr subjektive. Wir sind kein Mitglied der EU, wir sind ein sehr reiches Land. Seit den Vierzigern haben die Norweger immer gesagt: "Das ist unser Land, wir geben nichts freiwillig aus der Hand." Es gibt diesen sehr skeptischen, fast bäuerlichen Standpunkt, oder wie man es nennen soll. Nach dem Motto: "Das ist mein Bauerhof, verpiss dich!" Man ist sehr misstrauisch, was das globale Geschäftemachen angeht. Andererseits ist es dermaßen amerikanisiert, dass es schon wieder lächerlich wirkt.

Ist wohl kein Zufall, dass Alben aus Norwegen "Quiet Is The New Loud" (Kings Of Convenience) und "Quiet And Still" (Magnet) heißen. Färbt die Stille ab?
Na ja, vielleicht, aber es ist andererseits auch ein gutes Marketing-Spielzeug. Wenn du in der britischen Presse groß rauskommen willst, behauptest du, dass du unheimlich norwegisch seist und das eine kulturelle Eigenheit sei. Mit so einem leicht verständlichen Konzept kann man auch billig punkten. Ich weiß natürlich nicht, ob es so ist, die Leute machen einfach nur ihre Sache, und ich respektiere sie auch. Aber es fühlt sich irgendwie an wie: "Oh Mann, irgendwie ist es jetzt genug."

Stephan Ossenkopp