home

  [media stories: german: 1995]



A Time For Everything - Motorpsycho

Article / Interview with Bent + Snah
taken from the German magazine
INTRO #21 / Jan.-Febr. 1995.
German. Interview found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Ist es wieder Zeit für »Rockmusik«? Ist die Sättigungsgrenze erreicht? Trends sterben bei ihrer Geburt, viele sind »Sick Of All Core« (copyright M. Weckermann). Die Presse (wir / ich) nimmt sich das Recht zum Verriß wie allmorgendlich Butter aufs Brot, dabei kein Blatt vor den Mund und sieht sich im Kreuzfeuer von Leser und Industrie. Ein Schreiber kann nicht mehr für etwas sein, ohne es zu »glorifizieren«, er kann nicht mehr dagegen stimmen, ohne »auf eigener Profilsuche abzuhassen«. Wo liegt der Fluchtpunkt, auf den sich der Verfasser stürzen kann, wohin soll ich flüchten? Vielleicht dahin, wo der Horizont so weit entfernt ist, daß er musikalischen Visionen im Spannungsfeld zwischen zivilisatorischer Ein- und nordischer Zweiöde den größtmöglichen Raum zu gewähren scheint.

Gestern

Als das Trio aus Trondheim/Norwegen 1991 seine erste Platte einspielt, ist es »irgendwie gitarrenlastig«; eher unbemerkt im alternativen Sumpf, heimst es allemal Exotenstatus ob seines Herkunftslandes ein. MOTORPSYCHO? Nie gehört oder »mal reingehört«. Der spießigen Beschaulichkeit, in der Bent Saether, Snah Magnus Ryan und H. (?) Gebhardt aufwuchsen, sollen sie denn auch nur langsam entwachsen. »Eight Soothing Songs For Ruth« geht vorsichtig in die Offensive. Wieviel Aggressivität schlummert in dem roten Bretterschuppen inmitten der Trostlosigkeit Trondheims? Die Antwort gibt »Demon Box« und ist Geschichte. Die Presse überschlägt sich, wir überschlagen uns. Die wildesten Vergleiche von DINOSAUR JR. und MONSTER MAGNET über NEUROSIS bis HELMET werden gezogen, alle Bands stehen in Bents Plattenschrank. Die sind wie ... und wie ... und ... Ja, schon! Aber das war gestern. MOTORPSYCHO? Kenne ich ... Live? 1994, Forum Enger, klein, schnell voll, stickig (wohl das am häufigsten gebrauchte Clubattribut) und laut. Richtig für 20minütige Psychedelic-Ausflüge in »Mountain«, aber auch für PRINCEs »Rasberry Barret«. »California Dreaming« muß dran glauben. Sie wollen sentimental sein. Sie können. Auch können sie kompromißlos sein. Alle Trommelfelle sind weniger wert, doch selbst nach 30 Minuten »The Wheel» wollen die Leute mehr. Keine Chance, keine Zugabe. Die Band fährt nach Hause. Schließlich will sie nicht stehenbleiben. Nach zig EPs und Touren mit wechselhaftem Publikumsaufkommen soll ein drittes Album kommen. Auf der PopKomm werde ich vorgewarnt. Es werde eine Doppel-CD und eine Dreifach-LP, nicht mehr so hart, ein wenig mehr Melodie, und so ... Hm, gut. Aber das war gestern. MOTORPSYCHO? Eine neue Platte, aha ...

Heute

Spelle, Dezember 1994. Bent und Snah treten nur mit akustischen Gitarren vor die Leute. »An Evening Of Acoustic Magic«. So naiv das Motto des Abends anmutet, wird er. Aus vollen Kehlen schmeißen uns die beiden wunderschön getragene »Unplugged-Versionen« der vergangenen Platten entgegen. Die Intensität, weniger die Perfektion, das Augenzwinkern (die Ananas und der Kleiderständer aus dem Backstageraum mußten mit auf die Bühne), die Ausstrahlung - ein Fünkchen dessen, was sich »Plugged« in voller Gewalt entlädt. Ein Bent-und-Snah-Sympathiegebeabend. Ich unterhalte mich mit beiden, denn sie sind »on a mission«. Sie haben »Timothy's Monster« im Gepäck.

Hat sich eure Herangehensweise an das neue Material im Vergleich zu »Demon Box« verändert?
Bent:
Einige Stücke wurden bei mir zu Hause geschrieben, und andere waren live auf der Tour entstanden. Als wir ins Studio gingen, wollten wir z. B. aus der halben Stunde Material von »The Wheel« etwas machen, was so weit wie möglich von der Live-Version entfernt war. Jetzt ist es also noch 16 Minuten lang. Es waren mal 40. Wir wollten vor allen Dingen etwas anderes als »Demon Box Part 2« machen, denn das erwartete jeder von uns. Wir wollten aber die neue Herausforderung für uns und das Publikum, also nicht stehenbleiben. Darum nahmen wir ein paar neue wirklich harte Stücke nicht mit auf die Platte.

Was erwartet ihr von dem Album? Es kommt sehr monumental auf den Hörer zu und scheint zeitweise sehr, wie soll ich sagen ...
Bent:
Ambitioniert?

Ja, fast wie ein Meilenstein, oder so ... Wie denkt ihr, daß es angenommen wird?
Snah:
Ich kann mir denken, da es erst einmal ein sehr langes Album ist, wird es seine Zeit brauchen, um zu überzeugen.
Bent: Am Anfang standen einfach nur sehr viele Songs, die wir aufnehmen wollten. Es sollte gar nicht mal ein großes Album werden. MOTORPSYCHO ist aber alles zwischen Psychechedelic Space Jams und netten kleinen Popsongs. Am Ende konnten wir nichts mehr von der Platte nehmen, ohne die Vielfalt zu verlieren. Ich hoffe, daß die Leute die Platte nicht als Konzeptalbum verstehen. Es sind nur 15 Songs, die wir mögen. Und sie kommen alle aus dem Bauch. Ich mag keine Denker-Musik. Wenn ich ein Stück mache, schreibe ich Worte auf, die zur Stimmung der Akkorde passen, oder ich male Bilder mit Worten. »Demon Box« war immer »in your face«, wie eine Mauer, dieses ist viel sanfter.

Ich glaube, das Album hat einen beabsichtigten Verlauf, wenn es schon akustisch mit »Feel« beginnt, also doch ein gewisses Hörkonzept.
Bent:
Das ist richtig. »Feel« setzt den Ton des Albums und erklärt ganz einfach, worum es auf der ganzen Platte geht. Auch über das Stück hinaus ist in den ersten fünf Minuten nicht eine einzige Bassgitarre zu hören. Bis diese in »Trapdoor« mittendrin einsetzt und der dritte Song (»Leave It Like That«) dann wirklich sehr basslastig und pompös klingt, ist die Intensität der Musik von ganz tief unten ganz nach oben geklettert, und das mögen wir sehr.

Pompös ist ein gutes Stichwort für die sehr langen Stücke. Was hat es z. B, mit (dem 10 minütigen) »Giftland« auf sich?
Bent:
Der Kern des Stücks ist jetzt auf dem Album. Als wir damit anfingen, brachten wir die ersten fünf Minuten zusammen, hatten aber das Gefühl, daß wir das Lied loslassen müssen, da& es irgendwo anders hingeht, also kam in der Session die letzte Steigerung dazu. Die Originalversion, die wir auch live spielen, ist 17 Minuten lang.

Es gibt viele Klischees, die mit eurer Musik in Verbindung gebracht werden. Wie steht ihr nach dieser Platte zu Stigmas wie »psychedelic« oder »sounds like ...«?
Bent:
Klischees sind eigentlich eine tolle Sache, obwohl sie am Ende selten passen. Wir haben uns ihrer oft bedient. Manchmal haben wir einen Song gespielt und vorher gesagt: »Okay, laßt uns so tun, als spielten ihn THE WHO und PINK FLOYD.« Aber die Stücke mußten noch durch unseren Kopf, kamen also mit Sicherheit anders aus uns heraus. Sie wurden was sie wurden.

Bessere Attribute wären also »melancholic« oder »sentimental«?
Bent:
»Melancholic« wohl. Ich hoffe nicht zu viel »sentimental«! »Sungravy« trieft ein wenig ...

Das meine ich aber auch, mit diesem Streichquartett und so ...
Bent:
Aber danach kommt »GrindStone« (im Geiste von »Demon Box« - d. Verf.) Das reicht doch wohl zur Verteidigung, oder? Im Ernst, ich glaube, um auf den Verlauf des Albums zurückzukommen, daß es von Stück zu Stück merkwürdiger und merkwürdiger wird, eine Spannung aufbaut, die erst in den letzten vier Minuten von »The Golden Core« gelöst wird. In dem Stück kommt überhaupt alles zusammen.

Für mich ist »The Golden Core» inzwischen zum zentralen Stück der Platte geworden.
Beide:
Ja - das ist es auch, genau.
Bent: Ich weiß auch nicht, wie ich es erklären soll. Das Stück hat mich schon live zum Weinen gebracht und tut es immer noch manchmal. Es baut sich so sehr auf und irgendwann platzt es einfach in einem. Die Albumversion hat sehr viel von dem Geist des Live-Stückes, aber wir haben Live-Aufnahmen ... Mann, die waren so gut, das würdest du nicht glauben. Irgendwie kann nichts mehr danach kommen. Am Anfang funktionierte es gar nicht. Es war doppelt so schnell und gerade mal vier Minuten lang. Wir schmissen es erst einmal weg. Irgendwann nahmen wir es uns noch einmal vor, und dieses »Ding« fing an, diese vier Noten, die über den Rest des Stückes wiederholt werden (12 Minuten - d. Verf.) ...
Snah: Und wir hatten Angst, es aufzunehmen, weil es an Intensität hätte verlieren können, die Live-Versionen waren so voll von Emotionen ...
Bent: ... und wenn du etwas aufnimmst, mußt du es in Einzelteile zerlegen. Das kann einiges kaputtmachen! Außerdem mußten wir uns von dem Stück entfernen, es hören, und das war schwer, weil es so sehr aus dem Bauch kommt, im Grunde versucht es, »Herz-Musik« zu sein. Vielleicht ist es sogar das, was MOTORPSYCHO ist, alles in einem Song, der »goldene Kern« von uns, ha!
(...) Das nächste Album wird bestimmt wieder total anders. Es ist scheiße, den kommerziellen Weg einer Industrie-Band zu gehen. Bei einer solchen Band muß ein Album stilistisch auf den Vorgänger eingehen, sonst funktioniert die Sache nicht. Ich möchte nie ein Teil dieser Industrie werden. Deshalb haben wir auch auf die Veröffentlichung auf »Harvest« bestanden. Es gab immer nur zwei »klassische« Label: »Vertigo« und »EMI/Harvest«. Und wenn wir schon in Norwegen ein Majorlabel wie »EMI« auf der Platte stehen haben, dann wollten wir wenigstens gleichzeitig mit so einem coolen Namen wie »Harvest« assoziiert werden.
(Das Label "EMI/Harvest" ist offiziell nicht mehr existent. - d. Verf.)

Oh, Oh, home again...

Womit wir wieder in Norwegen, damit in Trondheim und in MOTORPSYCHOs Proberaum wären. Das Video zur Single »Wearing Yr Smell« zeigt mir die tatsächliche Trostlosigkeit, in der sich die Band bewegt. Am roten Bretterschuppen gestartet, strampeln vier Fahrradfahrer in Trondheim umher. Bent reißt im Fahren Textblätter mit Stichworten des Textes ab - nicht unbedingt eine neue Idee, durch die dilettantische Ausführung jedoch umso sympathischer. Im Hintergrund, dem einzig abwechslungsreichen Gesichtspunkt des ganzen Filmchens, ist nichts los. Auch wenn der Satz widersprüchlich klingt: Diese Umgebung erzeugt Musik, die zur einzigen Motivation wird, Monotonie mit Klängen zu reflektieren und zuzudecken. Ohne daß etwas passiert ist, stellen die vier ihre Fahrräder an die gleiche rote Bretterwand und verschwinden im Haus. Zuhause, wo nie etwas passiert.
Snah: Immer wenn wir von Oslo mit dem Bus kommen und durch einen bestimmten Vorort fahren, wissen wir, daß es gleich zu regnen anfängt. Irgendwie tut es das dann auch immer.

Morgen

Es ist Zeit für MOTORPSYCHOs Musik. Die Rechtfertigung hierfür ist ihre Abkehr von allen angerissenen Stilen vergangener Platten und damit unsere »Chance«, ein eindeutiges Vakuum inmitten von Trends und Hypes (obwohl die natürlich supergut sind, schon klar!). Eine Europa-Tour ist für März in Aussicht gestellt (mit einem neuen vierten Mann an den Keyboards). Der Soundtrack für den überragenden Western »The Tossler«, ein Country-Album, ist bereits aufgenommen, und die Band arbeitet an der CD, die darauf folgt. Die stilistischen Nischen, die sich die Norweger bis dato gesucht haben, um allen Erwartungen zu widersprechen, werden sie auch weiterhin finden. In einer solchen sitzt Bent mir gegenüber und meint, die Stille seiner Heimatstadt mache ihn zeitweise psychotisch. MOTORPSYCHO? Klar, über die habe ich mal geschrieben ...

Carsten Sandkämper