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  [media stories: german: 1996]



Motorpsycho - The Blissard Of '96

Article / Interview with Bent taken from the
German magazine
INTRO, March 1996.
German.Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


You may stop reading at any point. Die vorletzte Seite des Booklets von »Blissard« ist eine Fülle von Fragen und scheinbaren Antworten. Tatsächlich sind aber alle Antworten und Fragen voneinander unabhängige Sätze, die den Text immer neu beginnen könnten. Verständlich? Verstandenwerden ist ein Luxus, ohne den ich leben kann. Warum kann ich etwas, das du nicht kannst? Ich schreibe diesen Text, den du dann bereitwillig in der richtigen (sprich konventionellen) Form konsumierst. Ungefähr so spielt es sich ab. Aber was passiert, wenn oben zu unten und rückwärts zur Leserichtung wird, wenn alles im »Blissard of '96« - und Letterman zückt fröstelnd seine Top ten - durcheinandergewirbelt wird, ohne Code zu Boden fällt und Fragen stellt? Du dachtest gerade »Das reimt sich«?

Gab es eine Art Ergebnis nach der riesigen »Timothy's Monster«-Tour?
Ja, wir hatten die Songs so satt! Nachdem wir »Timothy's Monster« 1994 aufgenommen hatten, machten wir eine Tour mit 30 Dates, danach noch ein paar Konzerte in Norwegen. Als im Frühjahr '95 die Platte erschien, gingen wir 40mal auf die Bühne. Im August dann noch eine kleinere Tour und wir wurden wirklich sehr müde. Obwohl wir viele Songs überlebt haben, werden wir einige weiterhin spielen, »Feel« oder »The Golden Core« z.B., die verlieren nie ihre Kraft. Natürlich hat es sich auch gelohnt: Wir haben ungefähr dreimal soviele Platten verkauft wie zu Zeiten von »Demon Box«. Es waren nur zu viele Gigs. Ich konnte gegen Ende ziemlich schlecht die Energien freisetzen, die ich für einen Auftritt brauche. Seit August haben wir Ruhe, und langsam bin ich auch mental wieder bereit für eine Tour. In Zukunft wird die Belastung für jeden von uns allerdings noch größer, denn unser zweiter Gitarrist Morten arbeitet jetzt für das Management der Band. Das macht uns wieder zum Trio, was wir seit '92 nicht mehr waren. Wir müssen versuchen, Songs, die vier Leute geschrieben haben, zu dritt gut zu spielen. Ich denke, wir werden uns jeder etwas lauter machen.

Wann wart ihr bereit, wieder ins Studio zu gehen? Die meisten Songs hattet ihr ja schon während der Tour geschrieben.
Ja, mit Ausnahme von »'s Numbness« und »Fool's Gold« ist keiner der Songs älter als Januar '95. Im Sommer waren alle Songs fertig. Wir beschlossen, das Album zu machen, und bekamen auch ein Date im Atlantis-Studio in Stockholm, allerdings erst im September. Somit hatten wir vorher richtig Zeit zum Proben und Erholen. Das Wichtigste beim Aufnehmen war, daß die meisten Stücke mit zwei Gitarren und zusätzlich in offenen, nicht konventionellen Tunings geschrieben waren. Also mußten wir im Gegensatz zu »Demon Box« und den »Timothy's Monster«-Sessions lange an den Gitarrenarrangements basteln. Diesmal war vieles vorausgeplant.

Tatsächlich hört man erstmals ein eindeutig produziertes Album von MOTORPSYCHO.
Das liegt an den vorgeplanten Arrangements, aber auch an den Möglichkeiten des Studios. Außerdem haben wir wirklich genügend lange Songs gemacht. Wir wollten etwas anderes versuchen. Klar hätten wir eine Dreifach-CD vollbekommen, aber was hätte das gebracht? Einen Riesenhaufen an Information. Statt dessen: »Laßt uns das Album kurz machen, aber dafür so intensiv wie möglich!« Das Studio erleichterte uns die Arbeit: Wir haben erstmalig einen HIFI-Sound - glaube ich -, zum ersten Mal einen echt guten Drum-Sound, und wir konnten rumprobieren mit Tausenden verschiedener Mikros und Amps. Wir hatten z.B. sieben verschiedene Gitarrenverstärker für jede Gitarre, die wir aufnahmen. Alles klang linear so gut, daß wir beim Aufnehmen kein bißchen mixen mußten. Der Klang des Albums korrespondiert auch damit, daß wir uns als Menschen und Musiker verändert haben. Es ist, als betrachten wir unsere Musik aus einem anderen Blickwinkel. Außerdem hoffe ich, daß diese Platte wieder so weit von »Timothy's Monster« entfernt ist, wie es »Timothy's Monster« von »Demon Box« war. Es muß etwas Neues sein, es muß Leuten ein neues Gefühl geben. Wenn es das tut, sind wir schon halb da.

Nun habt ihr mit »The Nerve Tattoo« auch eine Single und, wie ich hörte, ein Video, ein richtiges, nicht nur eine einsame Radtour durch Trondheim (siehe Intro 21).
Unsere Plattenfirma in Norwegen meinte, wir sollten ein Video drehen, also holten wir ein paar Leute in ein Filmstudio in Oslo und schossen es an einem Tag. Es gibt zwar kein Headbanging und auch keine Mädchen in Bikinis, aber es sieht gut aus. Der Mann, der für das Artwork der Platte zuständig war, ist auch am Video beteiligt, also ist es recht konfus. Der Song ist ziemlich genau der Kern des Albums. »I cut my vein to paint it beautifully, meaningless, picturesque and absurd« ist allein schon sehr visuell, außerdem ist das Lied sehr poppig, ein Popsong über Popmusik sozusagen, denn ich höre all diesen musikalischen Müll um mich herum. Das meiste war schon mal da, wird heute nur stumpf reproduziert und ist somit nicht soviel wert, wie die Leute immer daraus machen. Zumindest wir sind auf der Suche nach dem einen großen Popsong, den wir noch nie zuvor gehört haben. »The Nerve Tattoo« trifft es fast. Wir haben ihn auf die Spitze getrieben mit Geigen und »BaBaBui«-Frauenchören. Die Single-Version beginnt sogar mit einem Gong. Aber während desStückes ändern wir den Code graduell, der Song geht in eine etwas andere Richtung, einen Schritt jenseits von Pop (Noise.Pop!? - A. d. V.). Am Ende will der Hörer aber wieder zum Popsong, also hört er das Stück nochmal. Das mag ich auch an »S.T.G.«. Es erreicht ein gewisses Level, bricht ab, bleibt für 4 Minuten und ist vorbei - ups, wo ist das Lied hin? Beim Schreiben des Songs sahen wir immer diesen Film, wie von Alfred Hitchcock, vor uns: Snah fährt in einem Auto und wird gejagt von den bösen Jungs hinter ihm. Er ist ganz allein, oh Hölle, aber er gibt nicht auf. Da schießen sie ihm in den Arm, und er denkt schon, es ist alles vorbei. Doch er fährt weiter, fährt schneller. Dann kommt er an eine Brücke, 200 Meter über dem Wasser, hier fängt der ruhige Teil an. Snah springt also aus dem Auto und von der Brücke, in Zeitlupe, ganz langsam ins Wasser. Und gerade als er das Wasser erreicht, taucht ein Wal auf und verschluckt ihn. Da legt er auf der Zunge des Wales - wie eine Primadonna - und weint. Und der Wal singt.

Der Verlauf eurer Alben ist immer etwas Besonderes, so auch auf »Blissard«.
Ja, der ist auf jeden Fall bewußt so. Es beginnt sehr unbekümmert und poppig, bis »Greener«, das Snah singt. Das ist wesentlich getragener und tiefer unten. Snah hat eine unglaubliche Stimme, und er hat hier alle Stimmen gesungen. Danach kommt mit »'S Numbness« noch mal etwas Harmlosigkeit zurück, um während »The Nerve Tattoo« in eine etwas andere Richtung abzugleiten. Die Ambient-Gitarren in »True Middle« bringen ein bißchen Ruhe. »S.T.G.« wiederum rockt erst drauflos - boogie monster! Ab der Hälfte leitet es den Schluß des Albums ein, denn von diesem Stück an wird das Album um 2 db leiser. Am Ende gibt »Nathan Daniel's Tune From Hawaii« dem ganzen Album noch ein klein wenig Harmonie. Ich mag es, daß die Platte so schön ruhig endet. Stück für Stück ändern wir den Kommunikationscode, so daß am Ende ein ganz anderes Gespräch als am Anfang stattfindet.

Letztes Mal hast du mir erzählt, ihr würdet euch beim Proben via andere Bands verständigen. Läßt sich das an dieser Platte zurückverfolgen?
Klar! Das ist immer noch der einfachste Weg, den anderen zu vermitteln, wie man den Song im Kopf hört. Wenn ich z.B. Gebhardt THE WHO nenne, weiß er, daß ich viel Schlagzeug will. Bei »Sinful, Wind-Borne« wollte ich dieses BRUCE SPRINGSTEEN »Born to run«-Feeling, wir gegen die Welt - the ultimate teenage anthem ... (leiser) Aber wenn ich zu der Zeile »let's get out of here, Suburbia really sucks« komme, sehe ich immer die Desillusion, die hinter diesem spaßigen Rocksong steckt. Ich fühle mich heute wesentlich weniger unschuldig als vor dem großen Erfolg. Es ist sogar nicht mal das große Ding, das ich mir erträumt hatte. Teilweise ist es zwar mehr, aber in vielen Bereichen eher viel weniger.

Wo ist es weniger?
Es ist nicht mein ganzes Leben, und eigentlich doch. Aber es ist dabei so hohl, seien es Bands oder die Geschäftsleute, die ich erlebt habe. Dieses ganze Rock'n'Roll-Ding ist nicht da, wo ich mal gedacht hatte, daß es ist. Ich habe so viel darüber gelernt, wie Menschen funktionieren, wenn Geld im Spiel ist. Und diese Sache findet sich bestimmt auch in den Texten von »Blissard« wieder. Ich bin jetzt 27 und werde langsam aber sicher ein bitterer alter Mann (??? - A. d. V.). Als wir die erste Platte machten, war die Welt noch Schwarz und Weiß und das Ziel klar. Aber je näher ich an das Ziel komme, desto mehr Farben sehe ich, desto mehr frage ich mich, warum jemand wie ich so etwas überhaupt macht. »Greener«, »The Nerve Tattoo« und »Fool's Gold« handeln von dieser desillusionierenden Suche.

Da ist sie also, die Twenty-Something-Depression.
Nun ja, so niederschmetternd ist es nicht. In dem ganzen Thema steckt auch viel Humor. »Sinful...« ist eine Tennager-Hymne aus dem Blickwinkel eines Nicht-mehr-Teenagers, ich blicke auch mit viel Ironie auf Zeiten, in denen ich betrunken oder bekifft durch die Gegend flog. Das war das große Ding damals - sinful, haha! Heute kann ich meine Fehler sehen und ehrlich betrachten, um sie dann in Songs zu verarbeiten. There is a time for everything.

Da ist es wieder.
Ja, es ist komisch, wie diese Sachen funktionieren.

Ups, wo sind die Worte hin? Ab April dürfen wir MOTORPSYCHO feiern, auch wenn die Tour nur 25 Konzerte haben wird. Verständlich, schließlich brachte die letzte die Band fast um ihren Zusammenhalt. Drei Leute mit zeitweise zusammengebissenen Zähnen, nur um nicht den Rest ihrer Ilussionen zu verlieren? Ich denke nicht, ich hoffe nicht, ich weiß nicht. In die Geschichte der Band kann man an jeder Stelle einsteigen, überall ist sie anders und doch homogen, bestimmt und fordernd, mit dem »Schneesturm« ein Mal mehr. Da kommt die etwas niedliche Ankündigung einer Homepage mit allen möglichen Fan-Goodies im Internet schon ein wenig selbstironisch. Was ich damit meine? An einem beliebigen Punkt habe ich es genossen, Bent im Fluß der Worte ein Stückchen zu begleiten. You are now reading _____ .

Carsten Sandkämper