[media stories: german: 1993] |
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Article taken from the Anglismen - das normalste Ding der Welt, zumindest in der deutschen Sprache. Ohne Anglismen würden wir wahrscheinlich keine zwei Sätze weit kommen. Aber auch Importe aus anderen Sprachen haben Einzug ins Deutsche gehalten. Man denke an Rouge, Charme und Creme, man denke an Ambiente, Moneten und Mafia und vergesse den Subottnik und das Karma nicht. Doch auch unsere geliebte Muttersprache hat Spuren auf dem internationalen Sprachenkarussel hinterlassen. Im Russischen klingt es noch ganz freundlich, wenn man von Butterbrot, Marschrut und Rucksack spricht, obwohl sich auch hier schon eine gewisse Militanz nicht verleugnen läßt, und auch der englische Kindergarten läßt noch wenig Böses vermuten. Doch Begriffe wie Waldsterben, Blitzkrieg, KZ und - wie ich neulich während eines Interviews mit Gary Lucas erfuhr - Weltschmerz zeigen, daß die deutsche Sprache im Ausland gern herangezogen wird, um Dinge auszudrücken, die nicht unbedingt auf die Sonnenseite des Lebens gehören. Das äußert sich auch auf andere Weise. Wer würde nicht Charlie Chaplins Film "Der große Diktator" kennen, in dem der Slapstick-Held in die Figur des Adolf Hinkel schlüpft und in einer quasi-deutschen, etwas dadaistisch anmutenden Lautmalerei eine Rede ans Volk hält. Der Klang dieser Ansprache erinnert an einen Trabbi beim Absaufen. Holterdipolter mit viel Husten und Stolpern. Die einzigen Real-Wörter, die in Chaplins Rede vorkommen sind Wiener Schnitzel und Sauerkraut. Es scheint also, daß die Sprache Lessings, Goethes und Thomas Manns in fremden Ohren durchaus nicht immer den Wohlklang erzeugt, den wir aus ihr heraushören wollen. Würde man allerdings noch das "Lied vom kleinen Trompeter" ins Englische, Spanische oder Sorbische übersetzen, hätten wir wahrscheinlich im Ausland mit unserem Deutsch völlig verschissen. Ein Volk, das - zumindest zur Hälfte - Generationen von Schülern die Zeile "ein lustiges Rotgardistenblut" einprügelte, darf kaum erwarten, daß auf seine Sprachkultur andernorts viel gegeben wird. Und doch finden sich immer wieder wohlwollende Menschen, die sich das Deutsche, wie partiell auch immer, zueigen machen. Oft sind es jene, von denen man es am wenigsten erwartet. Mudhoney bringen zum Beispiel bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit das Wort Schmetterling an, obgleich die englische Entsprechung dazu in weit stärkerem Maß angetan ist, die Phantasie anzuregen, durfte sie doch sogar schon als Titel für eine Oper herhalten. Arto Lindsay, Gitarrist und Sänger der Ambitious Lovers, steht ganz besonders auf das Wort Nilpferd, und - zugegeben - das englische hippopotamus vermag keineswegs an den schwerfälligen Charme der deutschen Bezeichnung heranzureichen.
Läßt sich jedem der genannten Begriffe noch unschwer ein Bild zuordnen, fällt das beim nun
folgenden schon erheblich weniger leicht: Wurststurm. Für alle, die nun meinen, sich verlesen
zu haben, sei es noch einmal wiederholt. Wurssturm! Was um alles in der Welt ist ein
Wurststurm? Als Fachmann für die Beantwortung dieser Frage freue ich mich nun Bent, hauptberuflich
Gitarrist der Gruppe Motorpsycho aus Norwegen, vorstellen zu können. Er war schließlich derjenige,
der meinen Sprachhorizont um das Wort Wurststurm erweiterte.
Was wir gerne glauben wollen.Bent als Sprachschöpfer. Unerwartet gibt er auch eine
Beobachtung zur Alltagssprache zum besten, die er aufgrund eines Vergleichs zweier
Aufenthalte in Berlin anstellen konnte. So weit, so gut. Aber Bent hat noch lange nicht seinen Trumpf ausgespielt. Er verrät mir nämlich noch das Geheimnis des wichtigsten Satzes der deutschen Sprache, des großen Mysteriums, mit dem man aller Probleme Herr werden kann, der Antwort, die auf jede Frage paßt. "Schade, die Limonade ist alle." Im Ernst, probiert es einfach mal aus. Damit entwaffnet Ihr jeden. Wenn Euch zum Beispiel ein dummer Kontrolleur in der Straßenbahn anmacht und Ihr ihm lässig ein "Schade, die Limonade ist alle" hinwerft - wetten, daß der Euch auf der Stelle in Ruhe läßt?
Doch zurück zu Motorpsycho. Die Band kommt we gesagt aus Norwegen. Für die Einen mag das
der Arsch des Rock'n'Roll-Universums sein, für die anderen hingegen das Mekka des Death
Metal. Letzterer ist in Norwegen nichts weniger als eine hohle Phrase. Dort, ganz im Norden,
trinkt man harte, klare Getränke, hält keine langen Reden und steht zu dem wenigen, was
man zwischen zwei Gläsern sagt. Erwähnt seien nur die Bands Mayhem, deren Sänger Maniac um
seinen Namen kein langes Gewese machte und sich eine Kugel in den Mund schoß, und das
Freizeit-Orchester Burzum, welches weniger durch seine Musik von sich Reden machte, als
vielmehr durch Aktionen, die darin bestanden, einige der wenigen echt mittelalterlichen
Kirchen, die es in Norwegen noch gab, in einen Haufen Asche und Holzkohle zu verwandeln.
Auf ihrem Album "Aske" ist sogar das verkohlte Gerippe eines dieser alten
Fachwerk-Gotteshäuser abgebildet. Kultur hinterläßt in Norwegen eben noch lebendige
Spuren. Burzum jedenfalls halten sich jetzt an einem Ort auf, an dem sie weniger
Anteil am allgemeinen kulturellen Leben, dafür aber viel Zeit zum Nachdenken über
mittelalterliche Architektur haben. Auch wenn der Titel des aktuellen Motorpsycho-Albums
"Demon Box" dazu geeignet ist, Schlüsse auf eine eventuelle Nähe der Band zum norwegischen
Todes-Metal-Zirkel zu provozieren, will Bent sich doch nicht ohne weiteres ins Umfeld
der besagten Bands drängen lassen. Eines leichten Grinsens kann er sich beim Gedanken an jene
Szene allerdings nicht enthalten.
Von Motorpsycho kann man dieses wiederum nicht behaupten. Ihr Album gibt eine vorläufige
Antwort auf Frank Zappas Frage "Does humor belong in music?" Klar, was sonst! Wer keinen
Humor hat, der sollte irgend etwas anderes machen, nur keine Musik. Das muß nicht immer
so weit ausarten, daß man sich beim Hören einer Platte totlacht, aber der Humor zeigt
sich spätestens bei der Herangehensweise an die Musik selbst.
Das heißt natürlich nicht, daß man bei der Ausarbeitung der Songs sofort immer einer
Meinung sein muß, doch das ist letztendlich nur ein Problem der Kommunikation. Jeder hat
seine eigenen Vorstellungen von Musik, die er in die Band einbringt. Über Ideen kann man
schließlich diskutieren. In diesem kommunikativen Element liegt eine der Grundlagen für die
motorpsychologische Vielfalt.
Nun ist soviel über die verschiedenen stilistischen Bausteine, aus denen sich die Musik der
Band der Musik zusammensetzt, geredet worden, daß es endlich an der Zeit ist, die
musikalischen Einflüsse von Motorpsycho konkret zu benennen.
An einem Punkt versagt jedoch der Humor der Band (womit ich ihr unrecht tue, denn eigentlich
war es nur Manager Ketil Sveen, der auf diesen Punkt ansprang). Thema Walfang! Ein Nachfahr
der Wickinger läßt sich nicht so ohne weiteres von unwissenden Kontinentaleuropäern die
Freiheit auf den Meeren streitig machen.
Das wird Motorpsycho jedoch nicht davon abhalten können, weiterhin konsequent den
eigenen Weg zu beschreiten. Denn wo sich die anderen ähneln oder gegenseitig die Gunst des
Publikums streitig machen mögen, stehen Motorpsycho allein in der Tundra, und die ist
bekanntlich weit. Niemand klingt wie sie, niemand reicht an sie heran, auch wenn die vier
Norweger vielleicht nicht die großen Posen draufhaben, die wohl inzwischen zum Geschäft
gehören mögen. Doch wer posen muß, hat den Spaß an der Sache verloren. Nein, sie sind
froh, in Norwegen, am Rand Europas zu wohnen, wo sie ihre Ruhe haben, den Rest der Welt
beobachten können und sich bei Bedarf bedienen, wo immer sie wollen. Kein Wunder, daß Motorpsycho all ihre Zeit in die Musik stecken und nicht in die promowirksamen Posen. Wozu auch? Denn wenn im Herbst aus den deutschen Arenen tausendfach der Wurststurm losbricht, dann, spätestens dann liegt ihnen die Welt ohnehin zu Füßen. Dr. Kimble
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