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WURSTSTURM - DEUTSCHUNTERRICHT MIT MOTORPSYCHO

Article taken from the
German magazine
NM! MESSITSCH, September 1993.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Anglismen - das normalste Ding der Welt, zumindest in der deutschen Sprache. Ohne Anglismen würden wir wahrscheinlich keine zwei Sätze weit kommen. Aber auch Importe aus anderen Sprachen haben Einzug ins Deutsche gehalten. Man denke an Rouge, Charme und Creme, man denke an Ambiente, Moneten und Mafia und vergesse den Subottnik und das Karma nicht. Doch auch unsere geliebte Muttersprache hat Spuren auf dem internationalen Sprachenkarussel hinterlassen. Im Russischen klingt es noch ganz freundlich, wenn man von Butterbrot, Marschrut und Rucksack spricht, obwohl sich auch hier schon eine gewisse Militanz nicht verleugnen läßt, und auch der englische Kindergarten läßt noch wenig Böses vermuten. Doch Begriffe wie Waldsterben, Blitzkrieg, KZ und - wie ich neulich während eines Interviews mit Gary Lucas erfuhr - Weltschmerz zeigen, daß die deutsche Sprache im Ausland gern herangezogen wird, um Dinge auszudrücken, die nicht unbedingt auf die Sonnenseite des Lebens gehören.

Das äußert sich auch auf andere Weise. Wer würde nicht Charlie Chaplins Film "Der große Diktator" kennen, in dem der Slapstick-Held in die Figur des Adolf Hinkel schlüpft und in einer quasi-deutschen, etwas dadaistisch anmutenden Lautmalerei eine Rede ans Volk hält. Der Klang dieser Ansprache erinnert an einen Trabbi beim Absaufen. Holterdipolter mit viel Husten und Stolpern. Die einzigen Real-Wörter, die in Chaplins Rede vorkommen sind Wiener Schnitzel und Sauerkraut. Es scheint also, daß die Sprache Lessings, Goethes und Thomas Manns in fremden Ohren durchaus nicht immer den Wohlklang erzeugt, den wir aus ihr heraushören wollen. Würde man allerdings noch das "Lied vom kleinen Trompeter" ins Englische, Spanische oder Sorbische übersetzen, hätten wir wahrscheinlich im Ausland mit unserem Deutsch völlig verschissen. Ein Volk, das - zumindest zur Hälfte - Generationen von Schülern die Zeile "ein lustiges Rotgardistenblut" einprügelte, darf kaum erwarten, daß auf seine Sprachkultur andernorts viel gegeben wird.

Und doch finden sich immer wieder wohlwollende Menschen, die sich das Deutsche, wie partiell auch immer, zueigen machen. Oft sind es jene, von denen man es am wenigsten erwartet. Mudhoney bringen zum Beispiel bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit das Wort Schmetterling an, obgleich die englische Entsprechung dazu in weit stärkerem Maß angetan ist, die Phantasie anzuregen, durfte sie doch sogar schon als Titel für eine Oper herhalten. Arto Lindsay, Gitarrist und Sänger der Ambitious Lovers, steht ganz besonders auf das Wort Nilpferd, und - zugegeben - das englische hippopotamus vermag keineswegs an den schwerfälligen Charme der deutschen Bezeichnung heranzureichen.

Läßt sich jedem der genannten Begriffe noch unschwer ein Bild zuordnen, fällt das beim nun folgenden schon erheblich weniger leicht: Wurststurm. Für alle, die nun meinen, sich verlesen zu haben, sei es noch einmal wiederholt. Wurssturm! Was um alles in der Welt ist ein Wurststurm? Als Fachmann für die Beantwortung dieser Frage freue ich mich nun Bent, hauptberuflich Gitarrist der Gruppe Motorpsycho aus Norwegen, vorstellen zu können. Er war schließlich derjenige, der meinen Sprachhorizont um das Wort Wurststurm erweiterte.
"Wurststurm bedeutet eigentlich nichts weiter. Ich finde einfach nur, daß dieses Wort einen tollen Klang hat. Stell dir vor, du kommst auf eine Riesenbühne, Tausende begeisterter Fans jubeln dir zu, und du greifst in die Saiten und schreist Wurssturm ins Mikro. Berauschend."

Was wir gerne glauben wollen.Bent als Sprachschöpfer. Unerwartet gibt er auch eine Beobachtung zur Alltagssprache zum besten, die er aufgrund eines Vergleichs zweier Aufenthalte in Berlin anstellen konnte.
"Vor einem Jahr fiel mir auf, daß jeder auf der Straße geil sagte. Alle paar Schritte hörtest du es, daß irgendwas geil oder saugeil wäre. Diesmal habe ich das noch niemand sagen gehört. Inzwischen gebrauchen alle das Wort cool, und das gefällt mir eigentlich viel besser, weil es viel mehr aussagt als geil."

So weit, so gut. Aber Bent hat noch lange nicht seinen Trumpf ausgespielt. Er verrät mir nämlich noch das Geheimnis des wichtigsten Satzes der deutschen Sprache, des großen Mysteriums, mit dem man aller Probleme Herr werden kann, der Antwort, die auf jede Frage paßt. "Schade, die Limonade ist alle." Im Ernst, probiert es einfach mal aus. Damit entwaffnet Ihr jeden. Wenn Euch zum Beispiel ein dummer Kontrolleur in der Straßenbahn anmacht und Ihr ihm lässig ein "Schade, die Limonade ist alle" hinwerft - wetten, daß der Euch auf der Stelle in Ruhe läßt?

Doch zurück zu Motorpsycho. Die Band kommt we gesagt aus Norwegen. Für die Einen mag das der Arsch des Rock'n'Roll-Universums sein, für die anderen hingegen das Mekka des Death Metal. Letzterer ist in Norwegen nichts weniger als eine hohle Phrase. Dort, ganz im Norden, trinkt man harte, klare Getränke, hält keine langen Reden und steht zu dem wenigen, was man zwischen zwei Gläsern sagt. Erwähnt seien nur die Bands Mayhem, deren Sänger Maniac um seinen Namen kein langes Gewese machte und sich eine Kugel in den Mund schoß, und das Freizeit-Orchester Burzum, welches weniger durch seine Musik von sich Reden machte, als vielmehr durch Aktionen, die darin bestanden, einige der wenigen echt mittelalterlichen Kirchen, die es in Norwegen noch gab, in einen Haufen Asche und Holzkohle zu verwandeln. Auf ihrem Album "Aske" ist sogar das verkohlte Gerippe eines dieser alten Fachwerk-Gotteshäuser abgebildet. Kultur hinterläßt in Norwegen eben noch lebendige Spuren. Burzum jedenfalls halten sich jetzt an einem Ort auf, an dem sie weniger Anteil am allgemeinen kulturellen Leben, dafür aber viel Zeit zum Nachdenken über mittelalterliche Architektur haben. Auch wenn der Titel des aktuellen Motorpsycho-Albums "Demon Box" dazu geeignet ist, Schlüsse auf eine eventuelle Nähe der Band zum norwegischen Todes-Metal-Zirkel zu provozieren, will Bent sich doch nicht ohne weiteres ins Umfeld der besagten Bands drängen lassen. Eines leichten Grinsens kann er sich beim Gedanken an jene Szene allerdings nicht enthalten.
"Wir haben mit solchem Unsinn natürlich wenig am Hut. Andererseits muß man aber auch zugeben, daß es kaum noch Möglichkeiten gibt, Tabus zu brechen. Erst wackelte Elvis mit dem Hintern, um die Leute zu schockieren, dann trug man die Haare lang, die Punks färbten sie sich bunt, die Musik wurde immer lauter und schräger, immer extremer. Irgendwann bleibt nichts mehr, und man sucht nach den verrücktesten Auswegen, um auf sich aufmerksam zu machen und auf die Titelseiten zu kommen. Auch wir schockieren die Leute, aber wir tun das, indem wir als norwegische Band außerhalb Norwegens Platten verkaufen. Das ist absolut unüblich. Im übrigen wird diese ganze Black-Metal-Szene nur deshalb so aufgebauscht, weil die Leute es nicht anders haben wollen. Und letztendlich wird da vielmehr reininterpretiert, als an der Sache wirklich dran ist. Die meisten dieser Musiker sind im privaten Umgang unheimlich lieb und angenehm. Vieles, was im Ausland furchtbar verbissen gesehen wird, ist im Grunde nur ein Spaß. Aber die Leute haben eben keinen Humor."

Von Motorpsycho kann man dieses wiederum nicht behaupten. Ihr Album gibt eine vorläufige Antwort auf Frank Zappas Frage "Does humor belong in music?" Klar, was sonst! Wer keinen Humor hat, der sollte irgend etwas anderes machen, nur keine Musik. Das muß nicht immer so weit ausarten, daß man sich beim Hören einer Platte totlacht, aber der Humor zeigt sich spätestens bei der Herangehensweise an die Musik selbst.
Die meisten Bands nehmen sich viel zu ernst. Ironie und Selbstironie ist ihnen völlig fremd. Sie arbeiten total verbissen an einem bestimmten Sound oder Stil. Dabei merken sie nicht, daß ihre Musik darunter leidet, und sie spätestens nach der zweiten Platte total uninteressant werden. Bei uns läuft das ganz anders. Uns macht es Spaß, die verschiedensten Einflüsse auf ganz unterschiedliche Art zu kombinieren und zum Schluß zu sehen, was dabei herauskommt. Sicher ist das sehr eklektizistisch, aber ich glaube, dieser Art von Musik gehört die Zukunft. Es bringt nichts, wie Helmet oder Rage Against The Machine zwölf Songs auf ein Album zu pferchen, die sich am Ende wie einer anhören. Sich auf einen Stil festzulegen heißt doch letztendlich nichts anderes, als sich selbst zu limitieren, und das lag uns nie. Das stoppt deine Kreativität. Wir spielen alles, was in unserem Bandkontext funktioniert."

Das heißt natürlich nicht, daß man bei der Ausarbeitung der Songs sofort immer einer Meinung sein muß, doch das ist letztendlich nur ein Problem der Kommunikation. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von Musik, die er in die Band einbringt. Über Ideen kann man schließlich diskutieren. In diesem kommunikativen Element liegt eine der Grundlagen für die motorpsychologische Vielfalt.
"Es geht uns ja nicht um Stile, sondern um eine bestimmte Atmosphäre, die aus all diesen Stilen resultiert. Wir versuchen, die Stimmungen, die von unseren Songs ausgehen, so perfekt wie möglich rüberzubringen. Das läßt viele Freiräume offen, so daß es uns eigentlich nie passiert, daß wir uns nicht einigen können."

Nun ist soviel über die verschiedenen stilistischen Bausteine, aus denen sich die Musik der Band der Musik zusammensetzt, geredet worden, daß es endlich an der Zeit ist, die musikalischen Einflüsse von Motorpsycho konkret zu benennen.
"Als wir im Herbst 1989 begannen, hörten wir in erster Linie Hüsker Dü und solch punkiges Zeug. Dann merkten wir irgendwann, daß dies nicht ausreicht, um Songs zu schreiben. Heute sind unsere Vorlieben ganz unterschiedlich. Folklore, allerdings keine norwegische, sondern eher irische, Musik der siebziger Jahre, Black Sabbath, Deep Purple (allerdings sollte sich die Band heutzutage einen anderen Namen zulegen). Spinal Tap, Graham Parsons. All die Bands aus San Franzisco, Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service, Country Joe And The Fish, Country & Western. Unser Schlagzeuger hört gern Blue Grass. Unser Sampler-Mann steht auf Coil und Throbbing Gristle. Vieles andere. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen, und die Prämissen ändern sich täglich."

An einem Punkt versagt jedoch der Humor der Band (womit ich ihr unrecht tue, denn eigentlich war es nur Manager Ketil Sveen, der auf diesen Punkt ansprang). Thema Walfang! Ein Nachfahr der Wickinger läßt sich nicht so ohne weiteres von unwissenden Kontinentaleuropäern die Freiheit auf den Meeren streitig machen.
"Ich finde es absolut idiotisch, ein Walfangverbot auszusprechen. Niemand macht sich eine Vorstellung davon, wieviele Wale in den Meeren rumschwimmen. Die Zahlen der Umweltschützer stimmen doch hinten und vorne nicht. In Brasilien wird der Regenwald abgeholzt, was katastrophale Folgen für die gesamte Erde hat, und nichts passiert. Aber man darf keine Wale mehr jagen. Oder gerade die Deutschen, die den Mund in dieser Hinsicht am weiteseten aufreißen, schlachten im Jahr Millionen von Schweinen und mästen sie unter barbarischen Bedingungen, aber uns wollen sie das Jagen von Walen, was wir seit Jahrtausenden betreiben, verbieten."
Natürlich beeile ich mich, mit der ganzen Kraft meiner Argumentation gegen diese Äußerungen zu halten, aber am Schluß stellt sich heraus, daß Ketil nur deshalb so vehement diesen Standpunkt vertrat, weil sein Großvater einst selbst die Harpune schwang. Mit ihm (Ketil, nicht seinem Großvater) schließt sich übrigens auch wieder der Kreis zu den oben erwähnten Death-Combos. Er betreibt nämlich den Voice of Wonder-Vertrieb, der auch das Label Deathlike Silence, auf dem sowohl Mayhem als auch Burzum ihre schwarzen Scheiben veröffentlichten, unter die Leute bringt.

Das wird Motorpsycho jedoch nicht davon abhalten können, weiterhin konsequent den eigenen Weg zu beschreiten. Denn wo sich die anderen ähneln oder gegenseitig die Gunst des Publikums streitig machen mögen, stehen Motorpsycho allein in der Tundra, und die ist bekanntlich weit. Niemand klingt wie sie, niemand reicht an sie heran, auch wenn die vier Norweger vielleicht nicht die großen Posen draufhaben, die wohl inzwischen zum Geschäft gehören mögen. Doch wer posen muß, hat den Spaß an der Sache verloren. Nein, sie sind froh, in Norwegen, am Rand Europas zu wohnen, wo sie ihre Ruhe haben, den Rest der Welt beobachten können und sich bei Bedarf bedienen, wo immer sie wollen.
"Von Norwegen aus ist es zwar schwerer, an die europäischen Fans ranzukommen, denn du mußt längere Wege zurücklegen, kannst nicht einfach nur mal schnell über die Grenze gehen. Du bist weitab vom musikalischen Zentrum der Welt. Aber wir wollen nirgendwo anders leben. Bei uns ist es so ruhig. Nichts passiert, so daß wir uns ganz unserer Musik widmen und uns unseren Stimmungen hingeben können."

Kein Wunder, daß Motorpsycho all ihre Zeit in die Musik stecken und nicht in die promowirksamen Posen. Wozu auch? Denn wenn im Herbst aus den deutschen Arenen tausendfach der Wurststurm losbricht, dann, spätestens dann liegt ihnen die Welt ohnehin zu Füßen.

Dr. Kimble