Article taken from the
German fanzine
PERSONA NON GRATA, June 1995.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!
Daß Bands ihre Einflüsse ausleben, ist gewiß kaum etwas neues, schon gar nicht unter
jetzigen "Multiinfluenzia"-Bedingungen. Doch was ist, wenn eine Band den Sound ihrer
Vorbilder derart innovativ lebt, daß selbige erblassen dürften?
Die fünf aus Trondheim / Norwegen bilden eine solche Band. Und mit ihrem letzten Album
"Timothy's Monster" erschlagen sie förmlich den Hörer mit ihren nett gewählten Anleihen.
Über 100 Minuten (!!!) lang lauschen wir ihrer besten Definition eines prägnanten Soundes.
Logischerweise schließt sich an solchen Stellen immer ein namedropping an, hier heißen
die Headliner: Pavement, Weezer, Dinosaur jr. und Mercury Rev.
Bent Saether (voc/git) und Gebhardt (dr), mit denen wir nach ihrem wirklich ausgiebigen
Conne-Island-Gig plauschten, ehren diese Vergleiche besonders. Bent umarmt mich mit einem
"Gotta say thank you!", als ich seine Band auf obenstehende Einflüsse festschreibe.
"Wir leben sehr intensiv mit Musik und jeden kleinen Ton, der uns wichtig ist, wird
in unseren Sound transportiert." Wundersam nur, daß ihnen Mercury Rev bisher unbekannt
blieb, ist doch ihre Vorgehensweise dieser "Transportierung" mit deren sehr ähnlich. Doch
Motorpsycho ist dabei weniger kunstvoll, sondern eher geradlinig, setzt auch gleichzeitig
eher auf stimmungsgeladene Skizzen, anstatt auf schrullige Durchwirkung ihrer Songs. Ja,
bei Motorpsycho werden Songs geschrieben. Auch wenn sie - typisch amerikanisch - strukturelle
Gepflogenheiten, so gut wie nur denkbar, negieren. Dazu kommt die Verwendung allem möglichen
Instrumentariums, das solche Songs, in ganz unaufdringlicher Weise, noch "bunter" zu machen
versteht.
Warum fiel eben vor "bunt" das Wort "amerikanisch"? Bei einer norwegischen Band? Tue ich
einem eigenständigen, europäischen Act Unrecht?
Nein - ich komme nicht von allein auf diese Idee. Motorpsycho in Gestalt von Bent, sehen sich
selbst so. Das imaginäre "Europa" ist von Norwegen doch ein bißchen weit entfernt. Das
beginnt bereits beim lustigen, amerikanischen Akzent Bents. Und bei seinem ausgeprägten Haß
auf die britische Musikszene und die Europäer, die ganz hörig nur dorthin schielen:
"England sucks! Nenn mir bitte eine Band von dort, die in der letzten Zeit wirklich
wichtig war!"
Ich nenne ihm auf Anhieb "Teenage Fanclub" und erwische ihn mit einem Zögern. Bent liebt
den TFC, diese Art, Songs zu schreiben. Wir beginnen, wie kann es anders für echte "Fans"
weltweit sein, zu schwelgen. Er entschärft diesen England-Vorwurf selbst, aber gibt sich
nicht geschlagen, schließlich sind Blake & Co aus Schottland. Wir lachen über die ganzen
Schemen und Bent gesteht: "Es ist immer das Gleiche. Wir haben unsere Vorurteile und
die Leute, die Platten verkaufen, versuchen diese zu bedienen. Und das Interessanteste
daran ist, daß das Gleiche tatsächlich weltweit gleichzeitig passiert. Wir hören überall
die gleiche Musik. Wir schauen auf der ganzen Welt die selben Musikkanäle. Das hat zwar
viele negative Seiten, aber ist auch positiv. Wir können uns weltweit über Musik
verständigen. Das ist doch irgendwie wahnsinnig schön!"
Natürlich! Und ich stellte mir die Frage, warum ich bisher nur von nicht-amerikanischen
UND nicht-englischen Bands socherart kosmopolitische Ansätze gehört habe. Ich denke, das
hat schon mit dem "Hype" zu tun. "Welchen von den vielen?", werdet ihr fragen. Ich sage:
mit DEM Hype. Inhalte sind egal. Schädlich sind solche Mechanismen immer. Sie mißachten,
daß es soviele geniale Köpfe in dieser Welt gibt, die uns mit ihren Ansätzen mit Musik
umzugehen einfach nahestehen. Der Hype ist das Mittel einer Industrie, die solche Köpfe
nur als "Marktmittel" begreift und uns, die Liebhaber, als "Faktoren" definiert. Und
jede Bestätigung, die über die vorgefertigten Rollen und Grenzen hinausgeht, widerspricht
dem Prinzip der Marktabgrenzung.
Also sprengen wir mit unserer weltweiten Kommunikation ÜBER Musik (was wir ja mittlerweile
als "Popkultur" bezeichnen) das Korsett der industriellen Interessen? Nun, ich glaube, wir
sind dazu noch zu klein - doch macht es Mut, Bands wie Motorpsycho zu erleben und zu wissen,
daß es eine Basis zwischen "Machern" und "Empfängern" gibt. Daß die Bühne keine Barriere,
sondern der Treffpunkt ist. Was für ein schönes Against-The-Tide-Feeling!
Die fünf Norweger vermitteln uns dieses Gefühl. Und sie fragen uns konkret nach unseren
Ansichten, nach unserem Leben. Welche Band interessiert sich schon so genau für ihre
Hörer. Gehört das zu einer korrekten Band? Ich denke mal, es ist eine Grundvoraussetzung.
Und welche Band vermittelt durch ihren greifbaren, nie langweiligen Sound soviel
Nähe? Herauszustellen wäre da ihr Song "Beautiful Sister", der beinahe klassisch für
ihre Philosophie sprechen könnte: "I'm so sorry, that you misunderstood me ... !". Letztlich
ergibt das alles zusammen ein arg seltsames Bild: eine Band hört intensiv Musik, lebt ein
Lebensgefühl, transportiert die Einflüsse, kommuniziert mit denen, die das Ergebnis hören
und fühlt sich glücklich. "Melancholisch glücklich", wie es ihr Sound umschreibt.
Gewissermaßen ist das ein Kreis. Gewissermaßen ist Motorpsycho eine grandiose, eine ganz
andere Band. Ich für meinen Teil stelle sie in die Reihe der "ganz Großen". So lapidar das
klingen mag: Ich lebe derzeit ihre Philosophie! Kommt mit!
Tom