|
Tracklist
Überwagner or a Billion Bubbles in My Mind • Circles •
Neverland • This Otherness • Carousel • What If... • The Mirror and
the Lie • Serpentine • Custer’s Last Stand (One More Daemon) •
Composite Head
Das Urteil
Nummer eins aus der Reihe der diesjährigen
Erscheinungen, die eigentlich in diesem Kontext Monate früher hätten
aufscheinen müssen, aber so ward es nicht. Motorpsycho. Dreißig
Minuten alleine für das Abtippen der Discografie - wer legt für die
Vollständigkeit seine Hand in den brennenden Kamin? Ich hole dann
mal den Feuerlöscher. Motorpsycho. Man muss die - mittlerweile -
vier Norweger zumindest respektieren. Leicht wird es dem Überfan
gemacht - großartige Livepräsenz, die regelmäßig in ein
mehrstündiges Wechselspiel aus Improvisation und gefeiertem Hit
fortgleitet, bemerkenswerte Veröffentlichungen werden jährlich aus
dem Ärmel geschüttelt. Einem Hörer, der sich bedenkenlos und ohne je
ein Wort der Kritik zu äußern, Motorpsycho verschreibt, kann man gar
nichts vorwerfen. Wenn, dann die. Trotzdem. Trotzdem: NEIN. Nein
zu „It’s a Love Cult“. Und zwar nicht aus dem Grund, weil die
aktuelle Platte mies geraten ist. Nein, sie ist gut, aber das reicht
diesmal nicht aus. Nicht für diese Band, eine Band, die Klassiker
geschrieben hat, die ‚Vortex Surfer‘ heißen, ‚The Goldencore‘ oder
‚Hey, Jane‘. „It´s A Love Cult“ ist im Bandkontext nur Durchschnitt.
Unterer Durchschnitt. Natürlich trotzdem besser als vieles, das zur
gleichen Zeit veröffentlicht wurde. Das Blöde bei „It’s a Love
Cult“ ist, dass man kaum Ansatzpunkte für Kritik finden kann.
Perfekt arrangierte, sehr ruhige Balladen, die sich gerne ins
Psychedelische ziehen. Aber: NEIN. Es überzeugt nicht. Gleich zu
beginn mit ‚Überwagner or a Billion Bubbles in My Mind‘ ein
gigantomanischer Titel, der nichts hält, was er verspricht. Ein
Krautstück aus der Hüfte. Auf jeden Fall gut gemacht. Doch wo bleibt
der gewisse Druck? Klar, seit „Let Them Eat Cake“ wird die ruhigere
Schiene gefahren, das jazzige Element hervorgehoben und „retro“
forciert. Das war damals eine feine Wende, nur mittlerweile ist die
Idee ausgelutscht. Ein weiteres Mal höre ich von Motorpsycho
Hintergrundchörchen und Gitarrengegniedel, die von einem unwichtigen
Rhythmus begleitet werden und ziemlich müde klingen. Das, was Herr
Saether beim letztwöchigen Konzertereignis als „Hippie-Segment“
bezeichnet hat, das ist mein Problem. Da sind die bittersüssen
Streicher - das rehäugige Bambi beim Schnuppern an einer beliebigen
gelben Wald- und Wiesenblume -, die rauhen Rockröhren - alte Männer
lassen am Lagerfeuer die Gitarre im Kreis wandern und singen Simon
& Garfunkel; der, dem nichts einfällt, stimmt ‚Kumba Ya‘ an -,
und ich spüre die grobkantigen Steinbrocken gegen das Jochbein
aufschlagen, nachdem mein Gesicht, als Resultat der Platzwunde
oberhalb der linken Augenbraue, in strömende Fluten des Dunkelrot
eingetaucht ist. Wer warf den ersten Stein? Hunderte zeigen auf.
Tja, Motorpsycho sind halt über jeden Verdacht erhaben. Sie dürfen
ruhig sein, ohne richtig die Seele aufzumischen, sie dürfen
mittlerweile wie impotente dEUS ohne Tom Waits-Einfluss klingen.
Leider. Natürlich sind einige Glanztaten auch diesmal gesetzt
worden. Die erste Single ‚Serpentine‘ ist ein lächelnder Popsong zum
Schaukeln mit einer Melodie zum Gernhaben. Klar, sie können nicht
singen, aber das dafür so gut! Wenn wir uns darüber im Klaren
sind, dass „It’s a Love Cult“ verhältnismäßig schwach ausgefallen
ist, richten wir unseren Blick auf die Bewertung und sind ob der
Höhe ein wenig verwirrt. Tja, liegt der Verdacht nahe, dass es sich
hier um eine Art Motorpsycho-Bonus handelt, so muss ich dem
eindeutig widersprechen. Nein, es ist eher genau umgekehrt. Die
Kritik selbst ist stark vom Motorpsycho-Malus geprägt. Das Phänomen,
die eigenen Lieblinge überaus streng zu beurteilen. Schützt vor
übermäßigen Lobreden und adimensionalen Gottvergleichen. |
|