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  [media stories: 2002: german]




Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions - Forsiktig!   AUTOR:
CARSTEN SANDKÄMPER
FOTO:
ALFRED JANSEN
WWW.SPEX.DE
  Photo story about Motorpsycho's
»In the Fishtank« recording sessions
taken from the website of
German indie magazine
SPEX, 2002-09-27.
In German. Found at the spex site.
  MOTORPSYCHO
A LOVE SUPREME


Eine Abfahrt zu früh, und wir holpern über enge Landstraßen, gesäumt mit Windmühlen und flankiert von mit Algen überwucherten Kanälen. Schön hier, aber das ist nur meine Meinung. Herr Jansen hasst es. Kein betrunkenes Gelächter, wenn man das Fenster öffnet, kein Dreck, kein Leben. Der eine braucht die Großstadt, der andere will weg aus ihr. So ist es halt.


Als wir schließlich im Industriegebiet von Weesp, 15 Kilometer vor den Toren Amsterdams auf den Parkplatz des E-Sound Production-Studios zum Stehen kommen, ist das Heile-Welt- Trauma überwunden. Wir dürfen Zaungäste spielen. Dabei sein, wenn Motorpsycho, dieser norwegische Rock-Monolith, zwei Off-Days zwischen den Festivals des Sommers dazu nutzt, für die Liebhaberserie »In The Fishtank« des holländischen Labels und Vertriebes »Konkurrent« ein paar Stücke aufzunehmen. Eine viel bessere Idee, als einfach nur das nächste Interview zu machen. Mit einer Band, die eh jedes Jahr eine neue Platte veröffentlicht, die ihren Platz lange gefunden hat und nach eigenem Bekunden nicht mehr weiß, was sie zu einem neuen Album zu erzählen hätte.

»In The Fishtank« geht in diesem Jahr in die neunte Runde. Das Projekt, für das labelnahe Bands während ihrer Tourneen durch Europa zu Aufnahmezwecken eingeladen werden, brachte bisher so spannende Kollaborationen wie Tortoise mit The Ex, Low mit Dirty Three, Willard Grant Conspiracy mit Telefunk oder aktuell Sonic Youth, The Ex und i.c.p. (Han Bennink, Ab Baars, Wolter Wierbos) zustande. Den Bands werden bei der Entwicklung ihrer Fishtank- Sessions keinerlei Vorgaben gemacht, einziges Korsett ist die Zeit, meist zwei bis drei Tage. Die Ergebnisse sind so vielfältig wie ungewöhnlich.

Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions
Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions   Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions

Im Falle der Sonic Youthschen Fishtank-Premiere entstand an einem Tag eine komplett assoziative Klangreise aller Beteiligten, wild, imaginativ, abenteuerlich. Die Zeiten, in denen Motorpsycho ihre Experimente mit Sound und Atmosphäre auf Band festhielten, sind vorbei. Es geht um Authentizität, um Musikalität. Bent formuliert es im Gespräch zwischen Kaffee, Soundcheck und Essen so: »Wenn du einmal weißt, wohin du willst und vor allem wo du stehst, wird das auch in deiner Musik deutlich. Man kann ehrliche Musik erkennen, wenn man sie hört. Ich glaube, dass wir heute dort angekommen sind.«

Leute laufen durcheinander, Gitarren werden aus ihren Schrankkoffern geholt. Snah spielt drei Verstärker in Reihe. Jeder einzelne ein Relikt der guten alten Zeit, in der Gitarren verbrannt und mit Peace-Aufklebern verschönert wurden. Vox, Fender, Orange, die echten Marken. Die Marshall-Phase war mal. »Zu Zeiten von 'Demon Box' habe ich noch Marshall gespielt. Das hörte man.« »Außerdem war Marshall nicht so teuer.« »Genau. Das spielte auch eine Rolle.« Mit niedlichem Stolz zeigt Snah auf seine Solina, einen betagten » Orchestra Strings«- Synthesizer, den er manchmal durch seinen Fender Twin jagt. Ein näselnder Sound, blechern und schwach. »Ich mag diese Brillanz.« Während des Aufbaus der anderen spielt er ein wenig darauf herum. Sphärische Akkorde huschen über die Wände des turnhallengroßen Aufnahmesaales.

Am anderen Ende tropfen sie auf einen Konzertflügel, an dem gerade Mathias Eick Platz genommen hat. Er gehört zum Bläsersatz, den Motorpsycho auf ihre Tour mitgenommen hat. Er, Jürgen Munkeby und Lars Horntueth sind die eigentlichen Stars dieser zwei Tage. Motorpsycho wollen ein paar von ihnen geschriebene Stücke aufnehmen. Stücke, die nicht in das Konzept ihrer angestammten Formation Jaga Jazzist passen, »Stücke, die zu sehr nach Motorpsycho klingen«, meint Bent, während er mit seinem Basssound hadert. Irgendetwas stimmt nicht. Da muss ein Fachmann ran.

Tors ist der Fachmann. Er kommt gerade aus Amsterdam. Angesichts der Mitbringsel, die er gerade auf dem Tisch im Regieraum des Studios ausbreitet, bittet ihn Bent, das Meiste davon für sich zu behalten, da sie sonst nichts zustande brächten. Alsdann, was hat denn der Verstärker? Bent spielt eine Anlage, die im Kern auch für John Wetton in den Siebzigern eine echte Freude gewesen wäre. Nachteil bei so alten Teilen ist die mangelnde Kondition unterwegs. Folglich heißt es für Tors, einzelne Röhren im Hi-Watt Amp auszuwechseln und neu einzumessen. Eine Wissenschaft für sich, nichts, womit sich ein Musiker gerne selbst beschäftigt. Wie Laboranten und Wissenschaftler stehen sie um den Boxenturm herum. Aber besser jetzt fummeln als später feststellen, dass die Bassspur scheiße klingt. Bloß: Was ist schon guter und schlechter Klang in diesen marginalen Bereichen? Eine Philosophie für sich.

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Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions   Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions

Zlaya, der Herr der Knöpfe, betrachtet das Treiben entspannt. Er hat seine Gerätschaften positioniert, den Stativwald mit Mikrofonen im Wert von mehreren zehntausend Euro um eine Unmenge von Röhrenmikros kahl geschlagen und hört sich in der Regie an, was die Band ihm bietet. Er hat bereits mehrere Fishtank-Sessions aufgenommen, schwärmt zwischendurch von Sonic Youth und Jim O' Rourke, legt Kippschalter um und gibt kurze Anweisungen an den Ton-Assistenten. »Dieses Pult gibt es nicht oft in funktionierendem Zustand auf der Welt. Es ist komplett analog, ein Röhrenpult.« Gebhardt beginnt einen leisen Groove zu spielen. Die VU-Meter am Mischpult verfallen in einen rhythmischen Tanz. Die Bassdrum lässt sanft eine Kaffeetasse vibrieren. Ich nehme sie mit. Ein neuer Kaffee muss her.

In der Küche sitzen Jürgen, Lars und Bent. Ein paar Stücke sind absolut ungeprobt, müssen aufgeschrieben werden. Die Diskussion auf norwegisch ist relativ undurchschaubar. Auch ein Blick auf das Notenblatt, das Lars bekritzelt, erhellt nicht, worum es geht. Erst ein zweiter Zettel mit der simplen Akkordfolge in Buchstaben ist sogar für mich verständlich. Ein Pattern, ein Basslauf, eine Form von 16 Takten, über die eine Bläsermelodie führt. Motorpsycho als Backingband. Es wird also Jazz? »Ja, kann schon sein. Wir sind ja eigentlich eher Formen gewöhnt, die über 4 Takte gehen. Rock eben. Das hier ist viel komplexer. Die eigentliche Melodie geht über 16 Takte. Mal sehen, wie wir das hinbekommen.«

Gebhardt ist schon lange fertig. Er spielt salonfähigen Bossanova, ein paar rauchige Beats und lässt sich von Schallschutzwänden einkreisen. Gleich neben ihm hat der Keyboarder Baard Slagsvold sein Rhodes aufgebaut. Er ist der Veteran der Band. Zwischen ihm und Saxofonist Jürgen liegen locker 20 Jahre. »Und trotzdem«, meint Bent, »ist es offensichtlich, dass sie trotz ihres unterschiedlichen historischen Backgrounds sehr ähnlich an Musik herangehen.« Als Baard versucht, eine Leslie-Rotation zu simulieren, kommt Zlaya vorbeigeschossen. »Wenn du möchtest, kannst du eine echte Leslie benutzen.« Und schon beginnt er, die Kabel zu dem schrankartigen Lautsprecher am anderen Ende des Raumes zu verlegen.

Dieses Studio scheint so ziemlich alles zu haben, was man sich an altertümlichem Instrumentarium wünschen kann. Wir bestaunen ein Glockenmanual an der Wand. »Das ist das Ding, mit dem sie Tubular Bells aufgenommen haben.«»Sollen wir das auch benutzen?«»Ich wüsste nicht wo.« Außerdem kann es so langsam mal losgehen.

Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions Motorpsycho - «In the Fishtank» sessions
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Irgendwann sitzt Bent in der »Socializing«-Ecke des Regieraumes und wir verlieren kurz ein paar Worte zu »It's A Love Cult«. »Es ist ja nicht so, dass wir nichts zu dem Album sagen könnten. Es war bloß alles so ziemlich wie beim letzten. Außer, dass es weniger Planung im Voraus gab. Es war wieder einmal so ein Spontaneitätsding, bei dem wir alles so gemacht haben, wie wir fühlten, dass es richtig ist. Und das war's auch schon.« Dass dabei das vielleicht geschlossenste Motorpsycho-Werk ever herausgekommen ist, soll daher auch nur eine Randbemerkung sein.

»Wir machen es so«, Bent dreht sich zum Mischpult. »Ihr habt 'Pro Tools' hier, das heißt, wir schneiden alles parallel auf Festplatte mit, falls wir später Versionen verändern wollen. Du drückst Aufnahme und wir spielen, bis wir meinen, es ist okay. As simple as that. Nachher machen wir noch eine Version von 'Blindfolded' mit Stimme und Klavier. Das wär's dann.« Zlaya hat diese angenehme Art eines Technikers, die von vorneherein signalisiert, dass es keine Probleme gibt. »No problem, you do your thing, I'll do mine.«

Und tatsächlich: Der Moment der Aufnahme hat etwas Magisches. Wir versinken in den tiefen Ledersofas, während ein getragener Basslauf, der uns noch tagelang verfolgen wird, aus den Boxen perlt. Drei Bläserstimmen mit unfassbar viel Luft schweben Coltrane huldigend über das Pattern. Einmal, zweimal, es könnte ewig so weitergehen. Mischen will Zlaya das ganze im Dezember, Veröffentlichung irgendwann danach... Es nicht abwarten können. Infiziert sein. Immer wieder neu. Ich bin ein Nostalgiker. Unverbesserlich. Mein Problem. Heimfahrt über Grachten. Ich liebe es.

»It's A Love Cult« von Motorpsycho erscheint am 30. September bei Stickman/Indigo.
»In The Fishtank 9 – Sonic Youth, I.C.P., The Ex« erscheint im Dezember bei Konkurrent / EFA.

Carsten Sandkämper