[media stories: 2001: german] |
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MOTORPSYCHO
Drei wider
den Stillstand
Big cover story on Motorpsycho Credibility. Musikalische Finesse. Wunderschöne, zutiefst anrührende Songs. Dynamische Eruptionen. Seit zwölf Jahren vereinen MOTORPSYCHO all dies mit spielerischer Nonchalance zu einem einzigartigen, sich ständig neu erfindenden Mikrokosmos, bei dem die Bewegung gerade die Konstante ist. Das allein ist eigentlich schon Grund genug, die Norweger endlich zu Titel-Ehren kommen zu lassen. Einen aktuellen Anlaß gibt es in Form der "Barracuda"-EP darüber hinaus ebenfalls - allerdings mit unschönen Nebenwirkungen ...
Auf den ersten Blick mag der Ort des Geschehens wenig einladend oder gar inspirierend wirken: Trondheim, das ist zunächst Industriebrache, totlangweilig. Die meiste Zeit des Jahres wird es früh dunkel in dem norwegischen Städtchen am Polarkreis. Draußen herrscht ab Herbst klirrende Kälte. Als junger, unangepasster Mensch bleiben hier nicht viele Möglichkeiten. Entweder man säuft sich trotz der horrenden Bierpreise bewusstlos, oder man wird Musiker und verscheucht die sich räuspernde Depression im Proberaum. Oder beides. Dann sollte man nach Svartla'mon gehen: Mitten im verwahrlosenden Ex-Arbeiterbezirk Reina hat sich über die letzte Dekade eine kreative Enklade etablieren können, die mittlerweile bei Musikern und anderen Kunstschaffenden in ganz Norwegen als eine Art Gütesiegel gilt. Ein subkulturelles Dorf, ständig latent bedroht vom örtlichen Grundstücksspekulanten-Wahnsinn. Hier leben, arbeiten, proben, essen und denken auch Bent Sæther, Hans Magnus 'Snah' Ryan und Håkon Gebhardt, die drei Multiinstrumentalisten von Motorpsycho - sofern sie nicht mal wieder irgendwo in Europa live unterwegs sind. 'Proben' ist hier doppelt unterstrichen, Motorpsycho praktizieren nach Eigenaussage nämlich mindestens vier Stunden am Tag, sechs Tage die Woche in einem Refugium, das sie mit sanfter Ironie "den Bunker" nennen. Seit ihrer Bandgründung im Oktober 1989, damals statt Gebhardt noch mit Kjell Runar "Killer" Jenssen am Drumset, werkeln Motorpsycho so mit schier unerschöpflicher Energie abseits aller Hypes an einem weit verzweigten tonalen Universum, das die Erforschung jedes noch so entlegenen Winkels lohnt. Den Namen dafür hatte man nach dem gemeinsamen Besuch eines Russ Meyer-Specials für sich reklamiert - Mudhoney und Faster Pussycat waren bereits vergeben ...
Seitdem zieht kein Jahr ins Land, in dem nicht zumindest ein reguläres Album sowie etliche Singles, Samplerbeiträge und sonstige, meist streng limitierte Kuriositäten erscheinen - das sind die Vinyl-Junkies ihren zahlreichen gut informierten Verehrern schuldig. Suchet, und ihr werdet finden! Unter anderen Preziosen wie eine 1996 auf 'Musical Tragedies' veröffentlichte Split-Single mit Schock-Rocker Alice Cooper in rotem oder gelben Sägeblatt-Finish. Oder skuriller noch, den MP-Beitrag zu einem Tribute-Sampler für das norwegische Humoristen-Duo Knutsen & Ludvigsen, der den schönen Titel "Ellediller og Krokofanter" spazieren führt. Ganz zu schweigen von "The Tussler", dem verbüffenden Countryrock-Soundtrack für einen Western des Italieners Theo Buhara. Nie gehört? Logisch: Weder Buhara noch der Film existieren. All das klingt unverwechselbar nach Motorpsycho - und ist dennoch stets anders, unverbraucht, überraschend, was zumindest teilweise an den gerne hinzugezogenen musikalischen Gästen (allen voran Helge Steen aka Deathprod., der zeitweilig sogar fest zum Line-Up gehörte und der Band heute noch als Co-Producer zur Seite steht) bzw. deren eher Rockmusik-fremdem Instrumentarium (Theremine, Mellotrone, Vibraphone, singende Sägen, Waldhörner, Sampler etc.) liegt. Zudem sind mit der Zeit die Grenzen, wer von den Dreien nun eigentlich was spielt, mehr und mehr einer allumfassenden Lust am Experimentieren gewichen. Singen tun inzwischen alle, Snah und Frontmann Bent wechseln schon mal Bass und Gitarre, bearbeiten Moog-Taurus-Pedale oder betagte Tasten und überbieten sich gegenseitig in den abgedrehtesten Tunings ihrer diversen Saiten-Gerätschaften. Space is the place - in Motorpsycho-Songs ist quasi immer Weihnachten. Überhaupt ist das Besondere, das Konstituierende an dieser Band, mit welcher unglaublichen Gelassenheit sie seither auf allen Ebenen Gegensätze transzendiert, ohne sich je selbst zu verlieren. Das fängt schon beim meisterlich begerrschten Spagat zwischen ihrem nationalen Dasein als chartskompatible Popstars (Norweger müsste man sein ...) und einem internationalen Ruf als kredibile, über jeden Zweifel erhabene Underground-Heroen mit restlos ausverkauften, frenetisch gefeierten Club-Touren an. Wahre Fans von Motorpsycho kennen wahrscheinlich jede verdammte Setlist rückwärts. Stilistisch reicht die Spannweite vom relativ handelsüblichen Grunge-lastigen Metalsound der Frühphase ("Lobotomizer") über hart groovende, zeitgemäße Progrock-Abfahrten mit Sampler-Einsatz und dunklen Goth-Zitaten ("Demon Box", bereits mit Håkon Gebhardt an Bord) bis hin zu den nahezu zwei Stunden feinster, sattester Spacerock-Epik, ausufernden Psychedelia-Exzessen und Noise-Perlen auf dem gigantomanischen Geniestreich "Timothy's Monster". Vom stringenten, kristallin-crispen Indie-Pop auf "Blissard", bis zum rüde hingeworfenen Retro-Rumpel-Charme von "Angels & Daemons At Play". Erstmals richtig interessant wird es 1993: Auf dem zweiten MP-Longplayer "Demon Box" koexistieren brutal reduzierte Pop-Kracher direkt neben sich minimalistisch entwickelnden Tracks, gespickt mit düsteren Sound-Collagen. Zumindest die einheimische Musikpresse erkennt das enorme Potential des Trios und bezeichnet "Demon Box" gar als "eines der besten Rockalben überhaupt". Nach zwei weiteren EPs ("Mountain" sowie "Another Ugly EP") wechseln Motorpsycho vom auf derben Gothic-Sound spezialisierten Indie 'Voices Of Wonder', mit dem man heute noch erbittert im Rechtsstreit liegt, auf nationaler Ebene zur Industrie.
Mit "Timothy's Monster" (1994), "Blissard" (1996) und "Angels & Daemons At Play" (1997) gelingt es der Band, den Fankreis über die Grenzen Norwegens heraus kontinuierlich zu vergrößern, darüber hinaus spricht sich schnell herum, dass Motorpsycho eine fantastische Live-Band sind. Wie kaum eine andere Gruppe verstehen sie es, das Spiel zwischen lauten und leisen Passagen, zwischen Melodie und ungezügelter Gitarren-Eruption auf der Bühne zu zelebrieren und das Publikum auf einer Länge von meist über zwei Stunden zu begeistern. 1998 schaffen Motorpsycho dann mit "Trust Us" das Kunststück, das überbordende Blubbern Radioheadscher Elegien mit den ausschweifenden Dynamik-Eskapaden später Smashing Pumpkins-Opern und einer Prise kranker Soundgarden-Rhythmik zu verbinden. Ergebnis sind Alternative-Hits ("Ozone", "Evernine") ebenso wie wunderschön schillernde, epische Übertracks ("Vortex Surfer"). Das, wofür vergleichbare Acts Monate und gigantische Produktionskosten benötigen, wird von Motorpsycho in unglaublichen sieben Tagen in atemberaubender Tiefe und Reife aufs Band gezaubert. Ein Album, das auf kongeniale Weise in Form vollendeter Song-Perlen alles bis dato Geschehene zusammenfügt, bevor Motorpsycho mit dem im besten Sinne klassizistischen "Let Them Eat Cake" abermals das Ruder herum reißen. Rechtzeitig zum zehnjährigen Band-Jubiläum zeigen sich die Norweger von einer bislang unbekannten Seite: Sie toben sich an streng durchkomponierten, detailverliebt orchestrierten Mini-Opern à la Beatles oder Beach Boys aus. Da tönen echte Hörner, schmeicheln Streicher, und die verzerrten Klampfen bleiben zur Abwechslung fast vollständig im Schrank, statt dessen beherrschen an Brian Wilson geschulte Mini-Epen im Sixties-Style das farbenfrohe Bild. Wer diesem Album die ihm gebührende Muße gewährt, dem erschließt sich ein wahres Feuerwerk. Das erstaunliche daran ist allerdings, dass den Norwegern gerade mit dieser eigentlich "unmodernen" Produktion erstmals der Einstieg in die deutschen Verkaufscharts glückt. Der dieser Tage erschienene EP-Nachschlag "Barracuda" schließlich entführt den blinzelnden Hörer dann in Richtung energischer, vor Spiellaune schier überbordender Schweinerock-Gefilde. Sämtliche Songs stammen aus den Aufnahme-Sessions für "Let Them Eat Cake", doch es war von vornherein klar, dass es eine separate Veröffentlichung geben würde. Damals erklärte die Band, dass die Stücke völlig anders seien, als das Material, das letztlich auf "Let Them Eat Cake" gelandet ist. Obgleich jenes in seiner Gesamtheit ungleich filigraner und ambitionierter herkommt, stehen aber zumindest einige der Titel auf "Barracuda" durchaus in einer Reihe mit Songs wie "Never Let You Go" oder "Walkin' With J.". Was die Scheiben indes fraglos miteinander verbindet, sind die verwendeten Klangfarben wie Bläser, Piano oder Hammond und diese spezifischen Sixties-, Früh-Seventies-Vibes. Beide sind ähnlich eklektizistisch, wählen dabei aber einen unterschiedlichen Blickwinkel. Was sich im Vorfeld der Veröffentlichung zutrug, ist allerdings eine weniger erfreuliche Geschichte: Gerade als sich die Wogenrund um Netz-Enfant Terrible Shawn Fenning und seine Tauschbörse Napster ein wenig zu glätten schienen, geraten ausgerechnet die integren Norweger in die Diskussion um unerlaubte Piraterie vs. unaufhaltsamen Fortschritt. Denn schon Wochen vor dem anberaumten Veröffentlichungstermin stand "Barracuda" für jeden zugänglich auf www.napster.com. Der einzige, der sich durch den Hokuspokus nicht aus der norwegischen Ruhe bringen lässt, ist Frontmann Bent Sæther, der uns telefonisch Auskunft zu den letzten Entwicklungen gab.
Alles klar in Trondheim? Es muss um diese Zeit ziemlich kalt und ungemütlich bei euch sein.
Wie du wohl schon weißt, besteht zumindest einer der Gründe für dieses Gespräch in den dubiosen
Vorgängen rund um eure aktuelle EP "Barracuda". Soweit ich informiert bin, sollte sie
ursprünglich im Spätsommer erscheinen. Warum die Verzögerung?
Findest du es nicht auch zynisch, dass es ausgerechnet eine Indie-Band wie Motorpsycho trifft,
die für ihre Integrität und eine äußerst loyale Haltung gegenüber ihren Fans bekannt ist?
Hat sich denn deine generelle Haltung gegenüber Napster als Tauschplattform durch die jüngsten
Geschehnisse verändert?
Zumindest lenken derartige Vorfälle vom Wesentlichen ab: der Musik.
Lass uns über Erfreulicheres reden, nämlich den kraftstrotzenden und dennoch intelligenten
Retro-Rock auf "Barracuda". Ich musste automatisch an die Achtziger-Pomp-Band Heart denken
- zumal der Opener auch noch ausgerechnet den Titel "Heartbreaker" spazieren führt.
Wenn man sich Energie-Schübe wie "Up 'Gainst The Wall (High Time)" oder das urbane
Verfolgungsrennen "Vanisbing Point" anhört, so wird offensichtlich, dass ihr im Studio
eine Menge Spaß gehabt haben müsst.
Mit "Dr. Hoffmann's Bicycle" ist auch ein grandios-schlichter Popsong enthalten.
Dr. Hoffmann - war das nicht dieser Schweizer ...
Da ich bis jetzt lediglich ein halbübersteuertes Tape zur Verfügung habe: Wovon handelt
"Glow", das mit seinem orchestralen Schlussteil gleichfalls latent an die "Trust Us"-
Epen gemahnt?
Im Bläser-verzierten "Star Star Star" wiederum scheinst du dich über das oberflächliche Gehabe
jener Durchschnitts-Rockstar-Typen zu amüsieren, die man tagtäglich auf MTV bewundern darf.
Nun seid ihr aber zumindest in Norwegen selbst Popstars: Sowohl "Let Them Eat Cake" als
auch beide ausgekoppelten Singles schossen von null auf Platz eins der Charts. Wie fühlte sich das
an?
Neben "Barracuda" habt ihr mit "The MotorSourceMassacre", dem schrägen Mitschnitt
eines Gigs aus dem Jahre 1995 zusammen mit den Freejazzern The Source sowie Deathprod. am Sampler,
erst kürzlich die zweite Ausgabe eurer "Roadwork"-Liveserie veröffentlicht. Zwei Bands, die
simultan auf einer Bühne miteinander spielen - oder sollte ich besser sagen:
gegeneinander?
Gibt es denn schon Ideen für eine nächste Folge?
Wie ich hörte, arbeitet ihr zur Zeit auch schon am nächsten regulären Studio-Album. Hat sich dabei
bereits eine Art genereller Trend herausgebildet, den du uns verraten könntest? Letztendlich kann und will auch Bent Sæther noch nicht genau definieren, wo die Reise letztlich hingehen wird. Seiner Einschätzung nach wird ein Großteil des bislang fertig gestellten neuen Materials für den nächsten Longplayer stilistisch näher an "Let Them Eat Cake" als an "Trust Us" sein. Wir werden es erfahren, beizeiten. Glänzende Augen haben wir schon jetzt. Patrick Großman
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