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  [media stories: german: 1998]



Call it Karma

Article / Interview around the release of Trust Us
taken from the
German alternative rock-magazine
VISIONS #66 / 1998.
In German.


Es muß wohl Frühjahr sein: Bent Sæther, Hans Magnus ‘Snah’ Ryan und Hækon Gebhardt, die drei unermüdlichen Arbeitstiere aus Norwegen, sind wieder da! Nach ihrem famosen 97er Rohdiamanten „Angels And Daemons At Play" steht dieser Tage mit „Trust Us" bereits der voluminöse Nachfolger der motorisierten Psychopathen in den Startlöchern. Und der ist nichts Geringeres als ein ausgewachsener Geniestreich mit berechtigten Chancen auf Kultstatus. Wetten?

Skandinavier, so sagt man, sind gemeinhin gemütlich und etwas langsamer als der europäische Durchschnitt. Je näher man dem Polarkreis kommt, desto weniger Hektik ist zu spüren. Gähnende Elche sagen hutzligen Trollen gute Nacht, die Tage sind im Sommer länger als anderswo, und Angeln gilt hier oben als ultimativer Kick. Nur das Bier ist leider deutlich zu teuer. Mehr Zeit jedenfalls, so scheint’s, haben höchstens noch die schnarchigen Mitarbeiter der berüchtigten, aus der Kinowerbung einschlägig bekannten Whiskey-Destille in good ol’ Tennessee. Was also treibt diese Kerle aus Trondheim dazu, sich mit derart manischem Schaffensdrang fast ganzjährig im Übungsraum zu verbarrikadieren, mit atomuhrmäßiger Kontinuität jedes Jahr ein Klassealbum zu veröffentlichen und ansonsten ohne Unterlaß durch die Lande zu tingeln? „Üben tun wir eigentlich weniger, eher arbeiten wir nahezu permanent an neuen Stücken", korrigiert mich mein sympathischer Gesprächspartner, Gitarrist Snah. „Für uns gibt es dann jedesmal diesen Schockmoment, wenn plötzlich wie aus dem Nichts heraus eine neue Tournee vor der Tür steht: 'Oh - in einer Woche müssen wir nach Europa! Scheiße, was nun? Wir müssen ja proben und uns auf Setlists und so was einigen.' Es kann durchaus passieren, daß wir aus purem Fun bis zur letzten Minute vor der Abfahrt an irgendwelchen Songideen rumwerkeln und dann richtiggehend traurig sind, das abbrechen zu müssen." Auffallend ist die Art, mit der er das Wort ‘Europa’ betont - als sei das unglaublich weit weg, irgendwo auf dem Mars und nicht sozusagen direkt vor der eigenen Haustür...

Langsam aber sicher beginnt auch der Rest der Welt, die Ohren zu spitzen. Das soeben erschienene, inzwischen achte Werk „Trust Us" dürfte ein übriges zur stetig anhaltenden Popularitätssteigerung des quirligen Trios beisteuern. Wie 1995 der monumentale Großangriff „Timothy’s Monster", den viele noch immer für das absolute Glanzstück im Klangkosmos Motorpsychos halten, besteht Jahrgang ‘98 aus einem ausgewachsenen, hochwertig verpackten 2-CD-Package. Viele der 14 Songs sind über sieben Minuten und länger - ausufernde, vielfarbige Mini-Epen des Space-Rock, die mit faszinierender Leichtigkeit und zugleich unglaublich erwachsen und bewußt das weite Feld musikalischer Dynamik ausloten. Loud rules, leise auch, und der Weg zwischen diesen beiden Extremen ist das erklärte Ziel. In einer Konsequenz, die sonst vielleicht nur noch auf dem „Mellon Collie..."-Album der Smashing Pumpkins oder bei Radioheads „OK Computer"-Geniestreich zu bewundern ist, herrscht - ganz im Gegensatz zur auffälligen äußerlichen Betriebsamkeit der Band - im Inneren der Songs oft eine eher bedächtige, ja gemächliche Gangart vor. Hier also hat sie sich versteckt, die norwegische Gelassenheit! Was „Trust Us" nicht zuletzt so unglaublich stark macht, ist die gelungene Mischung aus den jeweiligen Tugenden der Vorgänger: Der Pop-Faktor von „Blissard", die vergleichsweise rauhe, verspielte Noise-Lastigkeit von „Angels And Daemons At Play" und die ausladenden Dimensionen der frühen Produktionen - hier geht alles auf wundersame Weise eine organische Synthese ein. Aber kommen wir zum eigentlichen Anlaß dieser Zeilen, dem Interview, das mir ein gutgelaunter, aber noch etwas übernächtigter Gitarrero gewährt.

Snah, ihr seid ja zur Zeit in Skandinavien unterwegs. Wie gefällt den Leuten euer neues Songmaterial?
„Die Reaktionen auf die aktuellen Sachen sind bis jetzt wirklich überwältigend. Wir kriegen eigentlich durch die Bank gutes Feedback, auch seitens der Presse."

Euer Info behauptet, daß ihr das neue Album in wenig mehr als einer Woche eingespielt habt. Sollen wir euch das - gemäß dem Titel - wirklich abnehmen?
„Es war, wie immer bei uns, eine recht spontane Angelegenheit, so mögen wir es nun mal am liebsten. Insgesamt waren es allerdings doch drei Wochen, inklusive Mix und Mastering. Wir können uns nicht vorstellen, Monate im Studio abzuhängen, glaub’ mir, da geht unterwegs mindestens die Hälfte verloren."

Obwohl das Resultat fett und durchsichtig, für Motorpsycho-Verhältnisse geradezu hi-fi-mäßig klingt, kann man eine gehörige Kelle Live-Vibes nicht leugnen. Wie seid ihr im Zuge der Aufnahmen konkret vorgegangen?
„Angefangen hat’s im Grunde letzten Sommer während der Proben, wo wir bereits einen Haufen Songs auf Zweispur-Maschinen mitgeschnitten und dann immer wieder neu arrangiert haben. Das waren so alte Spulen-Geräte, regelrechte Oldtimer, weißt du? Dann machte ich einen Monat Urlaub, und danach ging’s direkt mit Konzerten weiter. Die ersten wirklichen Studio-Sessions - wieder im Athletic Sound in Halden mit derselben Mannschaft wie beim letzten Album - lagen exakt zwischen der Norwegen- und der darauffolgenden Europa-Tour. Wir nahmen also im wahrsten Sinne des Wortes während unseres Gig-Marathons auf, was eine gänzlich neue Erfahrung für uns war. Das könnte definitiv einer der Gründe dafür sein, daß „Trust Us" diese Live-Schwingungen so gut einfangen konnte. Natürlich gibt es etliche Overdubs auf der Platte, aber die Basics sind komplett zusammen eingespielt worden. Am Ende hatten wir diesen Riesenberg an Material und konnten uns nicht überwinden, so viel davon über die Klinge springen zu lassen - deshalb das Doppelalbum. Wir mußten ja jetzt schon von den ursprünglichen 18 vier Songs weglassen."

Ich persönlich halte „Trust Us" in seiner Reife und Geschlossenheit für euer bislang bestes Album. Das enorme Ausmaß des Projekts als solches erinnert mich ein wenig an „Timothy’s Monster", wohingegen die ausgewogene, bewußte Mischung aus kürzeren Stücken mit regelrechtem Pop-Appeal wie „Ozone", „Evernine" oder „Hey, Jane" und komplexen, epischen Songs à la „The Ocean In Her Eyes" mir eher eine logische Fortführung dessen zu sein scheint, was ihr mit „Angels..." begonnen habt: eine Symbiose aller bisherigen Motorpsycho-Reinkarnationen zu schaffen.
„Ich fürchte, ich kann dazu jetzt noch gar nichts sagen, obwohl sich deine Interpretation ganz schlüssig anhört. Motorpsycho ist immer auch der Versuch, Wiederholungen zu vermeiden. Wenn wir das Gefühl haben, uns selbst in den Schwanz zu beißen, wie Bent das immer ausdrückt, dann lassen wir sofort die Finger davon. Zugegeben: Sich selbst kontinuierlich neu zu erfinden, wird natürlich über die Jahre immer schwieriger. Aber zweimal dasselbe Album: never!"

Was ist denn in deinen Augen der konkrete Unterschied zu „Angels And Daemons At Play"?
„Ich denke, es ist irgendwie klarer, eindeutiger. Damit meine ich nicht nur die Produktion, sondern ebenso die Musik als solche bzw. deren Struktur. Auf ‘Angels...’ war der Noise-Anteil um einiges höher. Wahrscheinlich werden wir mit der Zeit einfach besser." (lacht)

Irgendwie schafft ihr das Kunststück und verbindet das überbordende Blubbern und die spacige Instrumentierung Radiohead’scher Elegien („Vortex Surfer", „Radiance Frequency" und das eingängige „Evernine" mit seinem kranken Loop) mit den ausschweifenden Dynamik-Eskapaden später Smashing Pumpkins-Opern („Taifun", „Ocean In Her Eyes") und einer Prise verdrehter Soundgarden-Rhythmik („Psychonaut", „Superstooge").
„Ich muß gestehen, daß ich weder das eine noch das andere kenne, nichts von beidem habe ich je in meinem Leben gehört. Ich höre überhaupt sehr wenig zeitgenössische Rockmusik. Da gibt mir jemand wie Robert Wyatt, dessen Soloscheibe ‘Rock Bottom’ aus den Siebzigern ich gerade wiederentdeckt habe, und anderer Happy-Hippie-Stuff aus jener Zeit erheblich mehr."

Ich bin bestimmt nicht der einzige, den das wunderschöne, mit einer repetitiven Glockenspiel-Phrase eingeleitete „Vortex Surfer" an euren Übersong „The Golden Core" erinnert.
„Stimmt. Sicher hat das unter anderem damit zu tun, daß bestimmte charakteristische Instrumente wie Mellotron oder Vibraphon hier wie dort eine tragende Rolle spielen. Darüber hinaus aber teilen diese Songs eine Art Schwingung, eine Aura, die der Sound nach einer Weile entstehen läßt. Vieles aus der neueren Musik hat kein Entwicklungsmuster mehr; das stampft oft ziemlich ziellos und eindimensional dahin, sei es nun Rock oder Techno. Den gesamten dynamischen Spielraum auszuloten, von ganz leise bis brachial, war für uns schon immer ein enormer Anreiz."

Vergangenes Jahr nanntest du gegenüber meinem Kollegen Wolf Kampmann den Einsatz von Samplern und anderem elektronischem Gerät „eine Option für die Zukunft." Diesmal habt ihr Ernst gemacht: In Songs wie „Evernine" arbeitet ihr geschickt mit trashigen Loops. Wieviel davon geht auf das Konto eures langjährigen Produzenten Deathprod.?
„Deathprod. hat ganz entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung, nicht zuletzt, da er der einzige von uns ist, der sich mit all dem Kram auskennt. Wenn’s um Technik geht, ist er Mr. Know-it-all! Ich persönlich würde vielleicht, wenn’s hochkommt, mit Ach und Krach den Power-Knopf an so einer Kiste finden. Ich kann meinen Amp anschalten, Gitarre rein, das war’s. Mir geistert die berechtigte Angst im Hirn herum, daß ich - sollte ich mich tatsächlich mal in die Materie eingearbeitet haben - nicht mehr davon lassen kann, quasi darauf ‘hängenbleibe’. Wahrscheinlich würde ich sogar japanisch lernen, um die Bedienungsanleitung im Original lesen zu können, ha ha. Dann hätten wir womöglich keine Zeit mehr zum Spielen, eine grausame Vorstellung! Darüber hinaus ist Deathprod. aber auch ein Mann mit überaus wertvollen musikalischen Ideen."

Was fasziniert euch denn so dermaßen an der Verwendung von Loops?
„Mantras und Drones! Die Inder sind perfekt darin. Wir lieben die Möglichkeiten der Wiederholung und das, was nach einer Weile daraus hervorgeht, was mit dir selbst als Musiker im Zuge dessen passiert. Musik kann zu einer Art natürlicher Droge werden, die dich erleuchtet und über die dingliche Welt emporhebt."

Außerdem habt ihr auch diesmal wieder die Talente einiger Gastmusiker wie Ohm und Seim dabei, die nebst Flöten, Streichinstrumenten und Saxophonen Skurrilitäten wie singende Sägen bedienen. Kannst du mir etwas über diese Typen erzählen?
„Ohms richtiger Name ist Ole Hendrik Moe. Er ist ursprünglich klassisch geschulter Violinist. Irgendwann hat er den Krempel hingeschmissen und sich zeitgenössischer Musik sowie dem Spiel verschiedenster obskurer Instrumente wie eben singenden Sägen in unterschiedlichen Stimmungen und mit dem Finger gestrichenen Gläsern zugewendet. Der Mann ist schlichtweg irre! Unser zweiter Multi-Instrumentalgast hingegen, Trygve Seim, kommt aus dem Jazz-Umfeld. Wir haben ihn vor einigen Jahren während eines Jazz-Festivals kennengelernt, in dessen Rahmen aus unerfindlichen Gründen auch Motorpsycho auftreten sollten."

Es gibt Instrumente auf dem Album zu hören, die ich mir nicht mal annähernd vorstellen kann. Was zum Teufel ist beispielsweise ein ‘Reindeer Antler’?
„Das ist eine Art Horn. Klingt sehr urwüchsig und norwegisch, ziemlich ethno-mäßig."

Gibt es eigentlich ein thematisches Gesamtkonzept auf „Trust Us"?
„Love and hate and World War III (lacht sich schier tot über diesen Einfall). Könnte, ja, sollte es zumindest sein. Nein, im Ernst: Ein bewußtes, durchgängiges Thema gibt es de facto nicht."

Was ist ein „Radiator Freak"?
„Der Song hat seinen Ursprung in einer norwegischen Fernseh-Comic-Serie mit dem seltsamen Namen ‘Radio Frequency 38.9’. Diese dreht sich um einen komischen Typen, der Tag und Nacht in seiner Kammer hockt und per CB-Funk mit der Welt kommuniziert - der alte Traum von der ganzen weiten Welt in deinem Wohnzimmer! Gerade ein so abseits gelegenes Land wie Norwegen kann sich in eine solche Situation sehr gut hineinversetzen. Das Ganze handelt also quasi von der historischen Version dessen, was heute im Internet abgeht."

Ihr seid trotz steigender Erfolgskurve europaweit nach wie vor beim kleinen Indie ‘Stickman’. Liebäugelt ihr für die nahe Zukunft eventuell mit einem Wechsel zur Industrie?
„Auch wenn uns jetzt einige für bescheuert halten werden: Nein, zumindest nicht zwingend. Zwar kann ich nicht voraussehen, was in der Zukunft alles noch geschehen wird, aber im Grunde ist es uns ziemlich egal, ob wir bei einem Major oder bei einem Independent-Label sind. Das Wichtigste ist doch, daß man stabile Arbeitskonditionen antrifft, auf denen man als Band aufbauen kann. Wir können uns bis jetzt nicht beklagen."

Nach den ausverkauften Shows letztes Jahr und den gestiegenen Plattenverkäufen könnt ihr euch aber schon mal auf einen erheblichen Karriereschub einstellen.
„Du meinst, wir sollten uns so langsam aber sicher auf die Sporthallen vorbereiten? Oh my God! Nö, dazu haben wir eigentlich keine große Lust. Ich glaube, die Größenordnung, in der wir uns momentan bewegen, ist völlig ausreichend, mehr muß es zumindest in Norwegen und Europa nicht sein. Wären wir kommerziell noch erfolgreicher, so würde das bloß mehr Ärger und Streß bedeuten, und wir sind nun mal ein enorm relaxter Haufen. Noch mehr Tourneen, noch mehr Was-auch-immer, nein, nein, nein, bitte, das reicht! Je mehr man sich mit all dem Karrierekram herumschlagen muß, desto weniger Zeit bleibt einem am Ende für die Musik selbst. Gleichgültig, wie viele Plastikscheibchen wir an den Mann bringen könnten, am wichtigsten sind uns gute Konzerte."

Wie sieht’s denn mittlerweile auf dem US-Markt aus? Und was ist eigentlich aus der irgendwann mal angekündigten Australientour geworden?
„Die wurde kurzfristig abgesagt, da jene Firma, die sich vor Ort um diese Angelegenheit kümmern sollte, von einem Tag auf den anderen Pleite machte. Ich muß allerdings gestehen, daß ich nicht gerade wahnsinnig unglücklich bin, wenn Unternehmungen dieser Größenordnung ins Wasser fallen - da bin ich eher Fatalist. Entweder sowas passiert, oder es passiert halt nicht; das sind Dinge, die außerhalb unserer Reichweite liegen. Nenn’ es Karma."

Darf man denn auf ein Video von euch gespannt sein?
„Ja, allerdings ist noch nicht spruchreif, welchen Song wir im Zuge dessen umsetzen. Fest steht nur, daß es sich definitiv nicht um die erste Single ‘Ozone’ handelt. Höchstwahrscheinlich wird, wie schon beim ‘Starmelt/Lovelight’-Clip, Kim Hiorthøy, der auch das Cover entworfen hat, die künstlerische Seite dieses Jobs übernehmen. Der Herr weilt derzeit noch irgendwo auf den Galapagos-Inseln, aber wenn er zurück ist, geht’s los."

Vom 8. bis 27. Mai sind die drei Rastlosen dann wieder auf hiesigen Bühnen zu bestaunen, was man sich nicht zuletzt aufgrund ihres tadellosen Rufs als erstklassige Liveband nicht entgehen lassen sollte.

Patrick Großmann