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  [media stories: german: 1997]



ENGEL & DÆMONEN
Motorpsycho

Interview with Snah taken from the
German alternative rock magazine
VISIONS, 1997.
In German.


Norwegen ist in Sachen Rock ein Entwicklungsland. Und doch kommt gerade aus dem Land am Rande des Eismeeres eine der sowohl produktivsten wie auch innovativsten Bands nicht nur Europas. Motorpsycho sind die Quersumme von Beatles, Deep Purple und Sonic Youth, natürlich jeweils auf die besten Tage beider Bands bezogen. Der Strom großartiger Platten des Trios aus dem verschlafenen Trondheim will gar nicht abreißen. Kaum hatte man sich an den gewaltigen Schlag gewöhnt, zu dem Motorpsycho mit "Blissard" ausgeholt hatten, da liegt mit "Angels And Daemons At Play" schon das Nachfolgealbum auf dem Tisch. Und wieder ist alles anders. Nach der aufwendigen Produktion von "Blissard" begeben sich Motorpsycho nicht nur an die Quellen ihres eigenen Schaffens, sondern vor allem auch ihrer Gefühle und ihres nimmer versiegenden Humors. Liegt darin vielleicht das geheime Überlebensrezept der Band? Gitarrist Snah steht Rede und Antwort.

Frank Zappa fragte einst: Does humor belong in music? Eure Platten scheinen darauf Antwort zu geben.

Vielleicht. Ich weiß nicht, ob das eine bewußte Sache ist. Aber es ist da. Wir sind Humor. Wir haben viel Spaß an unserer Musik, an unseren Werkzeugen und Gerüsten. Aber Rockmusik ist doch ohnehin voller Humor. Wann immer du einen praktischen Joke loslassen willst, findest du dafür den entsprechenden Kanal.

Mir scheint, ihr bringt jede Woche eine Platte raus. Woher nehmt ihr die Energie und Inspiration dafür?

Wir sind ununterbrochen auf Tour. Das ist auf jeden Fall inspirierend. Davon abgesehen führen wir ein sehr ruhiges Leben in Trondheim. Wir haben viel Zeit auszuchillen und uns an der Natur zu erfreuen. Und zu proben. Das ist das A und O unseres kreativen Outputs. Wir gehen für ein paar Monate auf eine Europatour, dann kehren wir nach Hause zurück, üben und gehen ins Studio. Eine Energie forciert die andere. Auf Tour kriegt man die richtige Power fürs Studio, und andersherum kriegt man im Studio wieder die Songs, mit denen man auf Tour geht.

Diese Antwort ist aber unbefriedigend, denn in diesem Rhythmus bewegt sich jede Band. Aber die Gabe, Songs zu schreiben, haben wohl nur die wenigsten.

Jeden Morgen, wenn ich ins Rehearsal Studio gehe, pfeife ich eine Melodie vor mich hin. Die anderen ebenfalls. Einfach so, wie man das eben morgens auf dem Weg zur Arbeit macht. Der Rest ergibt sich von selbst.

"Angels und Daemons At Play" scheint eine Art Zusammenfassung all dessen zu sein, was ihr bis jetzt gemacht habt.

Ich stecke noch viel zu sehr im Prozeß dieses Albums, um mich dazu äußern zu können. Frag mich in einem Jahr. Aber ich denke schon, daß wir mit Versatzstücken der vorangegangenen Alben gearbeitet haben. Ich kann es nicht genau sagen.

Andererseits scheint es mir auch einen Bogen von den Beatles über den Monster-Rock der Siebziger, den Hardcore der Achtziger bis hin zum typischen Crossover der Neunziger zu spannen.

Ohne Frage finden wir unsere Inspiration in verschiedensten Bereichen des Rock. Unsere Musik ist ein Amalgam von drei unterschiedlichen Personen. Wir haben ganz unterschiedliche musikalische Geschmäcker. Vielleicht klingt es deshalb manchmal ein bißchen wahllos. Wir arbeiten seit sieben Jahren zusammen und verstehen uns blind. Vor allem auf der Bühne findet eine rasche Kommunikation statt. Deshalb gelingt es uns immer wieder, diese unterschiedlichen Bestandteile in Einklang zu bringen. Es brauchte aber seine Zeit, dieses Niveau der Nähe zu erlangen.

Wie würdest du diese Nähe beschreiben?

Auf der Bühne kann jeder von uns jederzeit mit einer überraschenden Idee kommen. Das erfordert, daß wir stets bereit sein müssen zu hören und zu reagieren. Wenn Bent plötzlich eine bestimmte Baßlinie, einen Rhythmus oder eine Melodie abschießt, dann wird das mit Sicherheit einen Effekt auf Gebhardt und mich haben. Wir spielen Fußball damit, geben eine Antwort, jammen, improvisieren. Dieser Prozeß ist ganz wichtig für uns.

Also haltet ihr euch viel Raum für Improvisation offen.

Unsere Songs sind stets so angelegt, daß wir uns damit in jede nur denkbare Situation oder Richtung bewegen können. Diese Möglichkeit ist vor allem auf Tour entscheidend. Wenn du mit einem Album mehrere Monate unterwegs bist, wird es irgendwann stinklangweilig, wenn du jeweils nur eine Lösung für einen Song hast. Das würde uns einengen und austrocknen. Wir brauchen Freiheit und natürlich einen Vorwand, um improvisieren zu können. Denn gerade aus diesen Spielsituationen heraus werden die besten Ideen geboren.

Aber ist es kein Wagnis, Songs auf ein Album zu packen, die zwölf Minuten und länger sind?

Uns kommt es mehr darauf an, uns selbst zufriedenzustellen. Wir sind unsere ersten und wichtigsten Fans. Das heißt, wir spielen stets nur das, was wir selber hören wollen. Vielleicht stehen wir einfach auf Songs, die etwas länger brauchen. Es kommt doch gar nicht auf die Spieldauer eines Stückes an, solange es etwas ausdrückt. Ich ging neulich zu einer Aphex Twin-Show, und er spielte zwei Stunden in einem Set. Das hat mich wirklich überwältigt. Du kannst bei längeren Stücken einfach besser in gewissen emotionalen Aspekten des Songs verweilen. Manchmal haben wir Stützsäulen, und daneben vereinbaren wir, daß wir dies, das und jenes in die Musik hineinpacken. Zum Beispiel eine Jazz-Improvisation mit musikalischen Treffpunkten, von denen aus man sich in verschiedene Richtungen bewegt und zu denen man wieder hinstrebt. Es ist oft ein Wechselspiel von Verweilen und Weitergehen. Viele Tracks des neuen Albums sind buchstäblich Live-Aufnahmen. Gebhard spielt sein Schlagzeug, und Ben und ich stehen direkt neben ihm. Gerade so wie auf einer Bühne. So spürt jeder die Energie der beiden anderen. Auf diese Weise konnten wir die Spontaneität unserer Energie gut auf dem Band festhalten. Verglichen damit war "Blissard" viel mehr produziert. Das war ein normales Studioalbum, bei dem wir mit vielen Overdubs arbeiteten. Das war sicher eine Erfahrung, die für uns als Band genauso wichtig war, aber unsere energetische Supernova kommt eben auf "Angels And Daemons At Play" viel besser zum Ausdruck. Wir nahmen das Album in nur sieben Tagen auf, machten danach zehn Tage frei und brachten noch einmal zehn Tage mit dem Mix zu.

Es klingt unglaublich, ein Album wie dieses in nur sieben Tagen aufzunehmen.

Wir gingen einfach nur ins Studio und checkten es technisch durch, um zu sehen, ob die Vibes stimmten. Und dann ging es los. Am Ende hatten wir anderthalb Stunden Musik. Es war Vollmond. Wir konnten es selbst kaum fassen.

Warum schreibt ihr das Wort "Daemon" im Titel mit "ae"?

Ich denke, das ist die originale Schreibweise des Wortes "Demon". Es ist altenglisch.

Ist dieser Titel eine Referenz zur "Demon Box"?

Natürlich wird es so sein. Selbst wenn wir das gar nicht im Sinn hatten, ist es unvermeidlich. Du hast ja selbst gesagt, daß das neue Album Bezug auf unsere früheren Platten nimmt. Wir bewegen uns nicht unbedingt in vielen unterschiedlichen Stilen, aber auf jeden Fall auf ganz verschiedenen Wegen der Performance. Und zum Glück gibt es ja noch viel mehr Typen von Musik als nur den Rock.

Fühlt ihr euch manchmal versucht, in Richtung Jungle, Techno oder andere Genres dieser Art vorzustoßen?

Unsere Musik hat viel damit zu tun, daß ich von Ritchie Blackmore komme und Gitarre spiele. Ich habe kaum Erfahrungen mit elektronischen Instrumenten, und die anderen in der Band ebenso. Wenn wir einen Führerschein für Sampler hätten, würden wir sicher mehr mit solchen Medien arbeiten. Es ist eine Option für die Zukunft. Nicht nur elektronische Instrumente, sondern andere Klangquellen ganz allgemein. Zum Beispiel Instrumente wie akustische Gitarren, Piano und Geigen. Vielleicht auch Flöten. Man muß sich aber in solche Werkzeuge erst hineinarbeiten. Derzeitig ist das Werkzeug, mit dem wir uns am besten auskennen, die Kombination von Gitarre, Baß und Schlagzeug. Auf die Dauer ist es jedoch unvermeidlich, aus diesem Rahmen auszubrechen und sich zu entwickeln.

Ich habe von dem Vorhaben einer rein akustischen Platte gehört. Soll das ein reguläres Unplugged-Album werden?

Wir wollen andere Quellen und Klänge einbeziehen. Es wird nicht das übliche Ding mit zwei akustischen Gitarren und Schlagzeug werden. Wenn wir ein ganzes Album auf akustischer Basis einspielen, dann wollen wir uns diesem Klang auf ganz unterschiedlichen Wegen annähern.

Unter dem Titel "The Tussler" habt ihr auch ein Country-Album gemacht.

In Italien kamen wir mit einem Typen zusammen, einem Regisseur namens Theo Buhara. Er hatte schon seit längerem an einem Film gearbeitet und brauchte nun einen Soundtrack. Wir machten ihm den Soundtrack, aber er war nicht in der Lage, den Film zu beenden. Hier und da ist wohl ein Stück daraus gelaufen, aber wir haben keine Ahnung, was mit diesem Streifen passiert ist. Der Soundtrack ist jedoch auf einer Doppel-10" zu haben. Eine Vinyl-Ausgabe mit vier Bonus-Tracks.

Originaler oder norwegischer Country?

Was ist originaler Country? Ich denke, amerikanische Country & Western Music setzt sich aus verschiedensten europäischen Traditionen zusammen. Zum Beispiel Irish Folk, genauso aber melodische Folklore aus Mitteleuropa. In verschiedenen Regionen werden auch Bestandteile der Gospel Music einbezogen. Wovon reden wir also, wenn wir über originale Country Music sprechen? Die norwegische Folklore ist mit der irischen eng verwandt. Es gibt sicher auch viele Bezüge zur osteuropäischen Musik. Unsere Country Music hat aber mehr mit der amerikanischen zu tun, sofern wir uns darüber überhaupt ein Urteil erlauben können.

Woran liegt es eigentlich, daß der norwegische Jazz eine so viel bessere Reputation hat als der norwegische Rock?

Norwegen hat keine ausgeprägte Tradition hinsichtlich ihres musikalischen Exports. Schweden hingegen hatte im Lauf der Jahre einige wirklich große Namen, im Rock wie im Jazz. Von Abba über Ace Of Base bis hin zu den Cardigans. Ein Haufen anderer Bands in jedem nur denkbaren Genre. Was die norwegischen Jazz-Musiker betrifft, wurden sie alle durch ECM-Records bekannt, also durch ein deutsches Label, dessen Chef Manfred Eicher ein Faible für norwegischen Jazz hat. Mit ECM haben all diese Musiker einen weltweiten Vertrieb. Insofern war es für sie ein leichtes Spiel, außerhalb Norwegens einen Namen und ein Publikum zu kriegen. Für die Rockmusiker aus Norwegen sieht die Situation schon anders aus. Nur die wenigesten verfügen über Möglichkeiten außerhalb des Landes. Wir sind also in einer sehr glücklichen Position.

Würdet ihr euch selbst als Teil einer wie auch immer gearteten norwegischen Szene sehen?

Die norwegische Szene ist ein schmerzliches Thema, denn sie hat wie gesagt kaum Chancen, im Ausland wahrgenommen zu werden. Wir befinden uns in der besonderen Situation, außerhalb Norwegens viel bekannter zu sein als in Norwegen. Nichtsdestotrotz sind wir inspiriert von vielen norwegischen Bands und betrachten uns als integralen Bestandteil der Szene. Vor allem zu anderen Bands in unserer Heimatstadt Trondheim wie Israelvis oder Hedge Hog haben wir guten Kontakt - mit anderen Städten sieht es schlechter aus, zum Beispiel pflegen wir sehr dürftige Beziehungen zum Musik-Business, das in Oslo sitzt. Wir hängen nicht mit diesen Leuten rum, sondern bleiben lieber in Trondheim und konzentrieren uns auf unsere Musik.

Es gibt zwei große Ströme im Rock: den europäischen und den amerikanischen. Welchem fühlt ihr euch mehr verwandt?

Wir haben ziemlich gute Optionen auf beide Seiten. Ich liebe zeitgenössische Bands wie Stereolab, die ja aus London kommen. Andererseits vermittelt mir eine Band wie Tortoise eine völlig neue Erfahrung, und die kommen aus Chicago. Ich habe aber auch ein Faible für deutsche Musik wie Kraftwerk, Can und elektronische Bands in der Art von Tangerine Dream. Von den vielen großen alten amerikanischen Bands will ich gar nicht sprechen, z.B. Grateful Dead und Velvet Underground. Es fällt mir schwer zu sagen, auf wessen Spur wir uns befinden. Wir leben einfach nur in Norwegen, nehmen eine Beobachterposition gegenüber jeder Art von Impuls ein und mögen es, Musik zu machen.

Hilft Euch die Situation in Norwegen, als Band zu überleben?

Wir würden sicher nicht klingen, wie wir das tun, wenn wir in Düsseldorf wohnen würden. Das ist wohl Fakt. Trotzdem ist es für uns ganz wichtig zu reisen. Norwegen ist ein verschlafenes, steinreiches Land, das in einem idealistischen, sozialdemokratischen, feuchten Traum versunken ist. Ich denke, irgendwann wird Norwegen aufwachen und spüren, daß es Teil eines Planeten ist.

Ihr geht dieses Jahr nach Australien. Was erwartet ihr von der Tour?

Wir touren mit einer australischen Band namens Scream Feather. Ich kenne die Band nicht, aber das wird sicher eine wichtige Erfahrung für uns, denn wir waren noch nie in Australien. Wir haben dort zwar einen ganz guten Vertriebsdeal an Land ziehen können, müssen aber dennoch ganz von vorne anfangen. Das bringt sicher viel Motivationsenergie mit sich.

Laß uns noch einmal auf "Angels And Daemons At Play" zurückkommen. Wann habt ihr euch nach so einem gewaltigen Werk wie "Blissard" überhaupt in der Lage gefühlt, ein neues Album in Angriff zu nehmen?

Wir hatten ienen ganzen Haufen Songs, die sichim letzten Sommer in uns anstauten. Das ist wie deine Hard Disc im Computer. Wenn die voll ist, dann mußt du das Material irgendwo anders abspeichern. Also gingen wir ins Studio und dokumentierten all dieses Material. Es war ein Prozeß des Auftauchens, der sich vom Sommer bis zum November erstreckte.

Wer sind die Engel und wer sind die Dämonen?

Man kann es an Songs festmachen. Manche Songs sind engelsgleich, andere etwas dämonischer und wieder andere verschmelzen beide Ausdrucksformen. Wir wollen uns nicht in einer Form von Emotionalität festfahren. Wie jeder andere auch haben wir gute und schlechte Tage. Wir hoffen nur, wenn man das ganze Album hört, stellt sich eine Balance der beiden Aspekte ein.

Also ist ein Jekyll & Hyde-Effekt beabsichtigt

Genau. Wir haben verschiedene Stimmungen für verschiedene Tage. Jedes Konzert ist unterschiedlich. Wir müssen unser Material frisch halten, um zu überleben. Eine Auswahl treffen. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Ich möchte mit einem weiteren Zappa-Zitat schließen. Er sagte vor Jahrzehnten, Jazz sei nicht tot, er rieche nur schon etwas merkwürdig. Dieser Tage scheint dieses Zitat auch auf den Rock zuzutreffen. Ihr hingegen seid das lebendige Gegenbeispiel. Wie seht ihr die Zukunft des Rock'n'Roll?

Ich denke, Musiker und Bands sollten wieder etwas mehr versuchen zu sein, was sie sind, nicht immer vorgeben, irgendwas anderes zu sein. Sie sollten auf ihr Herz hören und sich emotional nicht ausklinken. Sie sollten auf ihren Bauch hören, denn der lügt nicht. Jazz wurde in den Siebzigern immer artifizieller. Die Musiker richteten sich nicht mehr nach ihrem Gefühl, sondern es ging immer mehr um technische Kunststückchen auf dem Instrument. Die Musiker übten acht Stunden am Tag, anstatt sich einfach gehen zu lassen. Im Rock ist das vergleichbar mit der wachsenden Rolle des Produzenten. Produzenten sind oft schon wichtiger als die Musiker, und die Werbekampagnen vermiiteln sich oft nur über die Produzenten. Deshalb nahmen wir unsere Produktion auch in eigene Hände, so daß jeder in der Band die Freiheit hat, sich selbst zu produzieren. Wir arbeiten mit einem norwegischen Typen namens Deathprod zusammen. Er hat das Zertifikat für Mischpulte und Bandmaschinen und ist sozusagen das vierte versteckte Mitglied der Band. Aber er ist kein Produzent, sondern ein Techniker. So ist der Weg zwischen der musikalischen Idee und dem fertigen Produkt oft nur sehr kurz.

Wolf Kampmann