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  [media stories: 2001: german]




MOTORPSYCHO
       SOUL SPICE FOR EVERYONE!

Interview with Geb on occassion of the Phanerothyme release
taken from the German indie fanzine
WAHRSCHAUER #42 / autumn-winter 2001.
In German.


Motorpsycho - ghost gallery? ;-)

MOTORPSYCHO stellen zweifellos ein Phänomen in der schnelllebigen und oft mit frühen Verschleißerscheinungen assoziierten Welt der Rockmusik dar. Seit gut zwölf Jahren ist es dem Quartett aus Trondheim immer wieder gelungen, eine gradlinige Verbindung aus quantitativer Veröffentlichungswut und kontinuierlicher musikalischer Innovationsfreude herzustellen. Ein schlechtes MOTORPSYCHO-Album hat es daher bis dato nicht gegeben, und auch 'Phanerotyhme', die jüngste Veröffentlichung der Norweger, wird daran garantiert nichts ändern. Altgediente Fans dürften das Material möglicherweise als gewöhnungsbedürftig empfinden, verabschieden sich MOTORPSYCHO diesmal doch fast gänzlich von den dreckigen, epischen Rocksounds der Vergangenheit, um sich stattdessen gutgelaunt in ebenfalls qualitativ hochwertigen Popgefilden zu tummeln. Zu diesem Richtungswechsel und den Hintergründen von 'Phanerothyme' ein Gespräch mit Håkon Gebhardt.

Wahrschauer: Soweit ich informiert bin, habt ihr an 'Phanerothyme' ungewöhnlich lange gearbeitet...
Gebhardt: Das ist richtig und darin unterscheidet sich 'Phanerothyme' deutlich von allen anderen Alben, die wir bisher aufgenommen haben. Der Arbeitsprozeß hat ein ganzes Jahr in Anspruch genommen. Wir haben sogar unsere Liveaktivitäten während dieser Zeit ruhen lassen, um uns voll und ganz auf die Arbeit an unserem neuen Material zu konzentrieren. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir die 'Let Them Eat Cake'-Tour letztes Jahr im September beendet; seitdem haben wir nur sporadisch gespielt. Die nächste richtige Tour wird erst diesen September wieder über die Bühne gehen.

Golden Geb  

Wahrschauer: Die lange Arbeitszeit ist dem Album deutlich anzumerken, gerade weil ihr es offensichtlich darauf angelegt habt, ein möglichst perefektes Popalbum einzuspielen. Schließlich besteht die Kunst perfekter Popmusik ja gerade auch darin, scheinbar einfache, tatsächlich aber überaus komplizierte Arrangements ganz unkompliziert und eingängig klingen zu lassen.
Gebhardt: Unser Ziel war es tatsächlich, eine sehr sorgfältig arrangierte Popplatte zu machen, die in sich stimmig und perfekt ist. Es war uns von daher von Anfang an klar, dass wir diesmal deutlich mehr Zeit in die Arrangements investieren mussten; ganz im Gegensatz zu der 'Let Them Eat Cake', für die wir lediglich drei Wochen ins Studio gegangen sind. In unserem Pop-Ansatz besteht auch der wesentliche Unterschied zu unseren früheren Alben, denn auf 'Phanerothyme' gibt es nicht mehr diese "Walls Of Sound", die sonst für uns typisch waren, und darüber hinaus klingen unsere Songs hier nicht so rockig und dreckig, wie sie es vorher getan haben. Das hat natürlich auch damit etwas zu tun, dass wir musikalisch einfach mal etwas anderes ausprobieren wollten, so wie wir es ja im Grunde bei jedem unserer Alben getan haben.

Wahrschauer: Ich denke ein großer Unterschied zu euren früheren Veröffentlichungen besteht vor allem in der Abmischung und den Arrangements der Gesangspassagen...
Gebhardt: Definitiv! Wir haben die Vocals diesmal als Instrument benutzt, sie bewußt stark in den Vordergrund gestellt und nicht etwa von den üblichen "Walls of Sound" überdecken lassen. Die Arrangements sind natürlich deutlich von Bands wie den BEACH BOYS, THE BAND oder CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG beeinflusst. Ich liebe diese Art von Harmonien, die so schwer zu erreichen sind, die mir aber immer noch eine Gänsehaut über den Rücken jagen, wenn ich sie höre. Mann kann übrigens sagen, dass bereits 'Let Them Eat Cake' ein erster Schritt in diese musikalische Richtung war, denn das war das Album, während dessen Entstehung wir uns das erste Mal überlegt haben, echte Streicher und Bläser zu verwenden. Das haben wir auf 'Phanerothyme' nun fortgeführt.

Wahrschauer: Wie muss man sich eigentlich den Songwritingprozess im Hause MOTORPSYCHO vorstellen?
Gebhardt: In der Regel steuert jeder einzelne Ideen zu den Songs bei. Während der Proben reden wir ja nicht so viel miteinander und dann ist das meistens so, das einer eine bestimmte Vorstellung hat und dann einfach Namen nennt, um den anderen einen Ansatzpunkt für den Sound, die Stimmung und die Atmosphäre des jeweiligen Songs zu geben. Ich sage also z.B. "THE WHO" oder "SONIC YOUTH" und die anderen wissen sofort, woran sie sich orientieren müssen, um meine Vorstellungen adäquat umzusetzen. Das heißt, wir arbeiten dann solange an den Arrangements, bis es letztendlich hinhaut.

  Golden Snah

Wahrschauer: Das hört sich vom Prinzip her ziemlich einfach an...
Gebhardt: Das hört sich aber auch wesentlich einfacher an, als es in Wirklichkeit ist. Man darf nicht übersehen, dass wir die Songs diesmal im Schnitt zehnmal komplett aufgenommen, immer wieder angehört und überarbeitet haben, bis wir dann irgendwann zufrieden waren. 'Phanerothyme' ist tatsächlich das allererste Album, bei dem wir mit exakten, sorgfältigen Demos gearbeitet haben. Darüber hinaus ist es so, dass die einzelnen Songs oft verschiedene Aspekte von verschiedenen Bands oder Musikern beinhalten – also etwa einen BEACH BOYS-Chor, ein WHO-Riff usw.

Wahrschauer: Wie viele Songs habt ihr angesichts eures Perfektionsdrangs überhaupt fertig stellen können? Doch wohl mehr als die neun des neuen Albums, oder?
Gebhardt: Insgesamt waren wir ausgesprochen produktiv. Wir hatten 40 fertige Songs, von denen wir insgesamt 25 aufgenommen haben. Es war dementsprechend sehr, sehr schwierig sich auf neun Songs zu einigen. Wir hatten z.B. einen wirklichen Supersong, der aber viel zu lang war und deshalb wieder runtergeflogen ist. Wir wolten das Album einfach nicht zu lang machen, denn es sollte auch auf ein Vinyl passen. Ich persönlich glaube, dass die Aufmerksamkeitsspanne beim Musikhören heute generell nicht mehr so hoch ist, und ich selbst höre eigentlich auch keine kompletten CDs mehr, sondern maximal vier, fünf Songs davon. Ich finde, die Leute sollen sich auf 'Phanerothyme' konzentrieren können, deswegen sind auch nur neun Songs drauf. Es soll ja schließlich nicht so beliebig werden...

Wahrschauer: Was geschieht mit dem nicht verwendeten Material? Weggeworfen wird das ja wohl nicht...
Gebhardt: Nein, die übrig gebliebenen Songs werden natürlich nicht weggeworfen. Es kann sein, dass wir direkt nach der Tour wieder ins Studio gehen, diese Songs dort noch einmal richtig aufnehmen, vieleicht noch zwei neue dazu packen und sofort ein weiteres Album herausbringen. Da ist aber noch nichts entschieden, obwohl es sicherlich spannend wäre, die auf der kommenden Tour gemachten Liveerfahrungen in die Arbeit mit dem dann alten Material einfließen zu lassen.

Wahrschauer: Apropos "Liveerfahrungen": Wie stellt ihr euch eigentlich die Liveumsetzung dieses komplexen Arrangements vor?
Gebhardt: Ehrlich gesagt, wissen wir noch gar nicht, wie wir das alles live umsetzen sollen bzw. live umsetzen können. Bisher haben wir erst dreimal geprobt, und zwar nur mit Bass und Drums. Da gab es zwar einige Startschwierigkeiten, aber im Großen und Ganzen ging es dann doch einigermaßen. Nach dieser Promotour werden wir nochmal ordentlich proben, damit wir dann auch für die richtige Tour fit sind. Bisher haben wir nur 'Go To California' live gespielt, aber das ist ohnehin ein Song, denn wir relativ schnell im Studio eingespielt haben, ungefähr so, wie ältere MOTORPSYCHO-Songs. Ansonsten haben wir noch keine Liveerfahrungen mit dem neuen Material. Wir wissen nur eins: dass wir versuchen werden, alles möglichst nah am Studiosound umzusetzen...

Golden Bent  

Wahrschauer: Ihr seid bekannt für eure ausgedehnten Touraktivitäten. Wie kommt ihr überhaupt noch miteinander zurecht angesichts der Tatsache, dass ihr seit so vielen Jahren schon so viel Zeit miteinander verbracht habt?
Gebhardt: Im Großen und Ganzen haben wir diesbezüglich keine Schwierigkeiten miteinander, auch wenn wir in der Tat ungefähr 95 Prozent der Zeit miteinander verbringen. Wir sind im Grunde wie ein altes Ehepaar, denn wir verstehen uns mittlerweile fast blind. Wir achten aber auch darauf, dass wir uns auf Tour gegenseitig unsere Freiräume lassen. Sobald wir aus dem Tourbus aussteigen, gehen wir in der Regel wieder getrennte Wege. Klar, wir trinken auch mal ein Bier zusammen oder veranstalten eine gemeinsame Grillparty, aber privat gehen wir uns doch eher aus dem Weg.

Wahrschauer: Komen wir abschließend zum Albumtitel 'Phanerothyme': Laut Presseinfo handelt es sich dabei um einen von Aldous Huxley kreierten Begriff, der die "Positiven Gesichtspunkte von Psychedelia" definieren soll...
Gebhardt: Der Begriff entstand zeitgleich mit dem Begriff "psychedelic". Huxley schrieb damals an seinen Freund Humphrey Osmond die Zeilen "To make this trivial world sublime / Take half a gramme of phanerothyme." Dieser antwortete darauf: "To fanthom hell or soar angelic / Just take a pich of psychedelic." "Phanerothyme" besteht aus zwei Elementen, den griechischen Wörtern für "Seele" und "Gewürz", und lässt sich somit als "soul spice", "Seelengewürz", übersetzen. Wir haben uns für den Titel entschieden, weil dieses Album für uns in musikalischer Hinsicht ein großer Trip gewesen ist. Es soll auch den Hörer auf einen Trip mitnehmen. Jeder hat schließlich einen eigenen Zugang zu dem Album und soll sich einfach den passenden "Trip" heraussuchen...

www.motorpsycho.fix.no

Malte Mielisch