WZ: Erstmal Glückwunsch zu Eurem neuen Album. Scheint Euch ja eine Menge Spaß gemacht zu haben.
MP: Ja, es dauerte sechs, sieben sehr lockere, spontane Tage, die 17 Songs aufzunehmen.
"Blissard" war noch sehr kontrolliert, arrangiert und daher eher statisch, weil wir ein Konzept
hatten. Dieses Mal war es so etwa wie "Oh, das klingt gut, lasst uns das mal machen.", eben sehr
verspielt und locker, mit viel Improvisation. Es war wohl eher das, was man unter richtiger
Studioarbeit versteht. Man geht hin, spielt einfach, und etwas entwickelt sich daraus.
WZ: Das Album entfernt sich vom vorherigenund geht in Richtung "Timothy's Monster" und
"Demon Box".
MP: Stilistisch schon, aber die Arrangements haben wir ganz anders gedacht, und uns von
den Heavy-Metal-Klischees gelöst, zu denen wir immer tendierten. Wir haben gelernt aggressiv
zu sein, ohne zur Metal-Band zu verkommen. Ein bewusster Versuch zu einem homogen klingenden
Album, was manche an die Vorgänger erinnern mag. Insofern mag der erste Eindruck täuschen,
aber es ist kein "back to the roots"-Album. Vielen war "Blissard" zu poppig, zu leicht. Ich
denke aber, dass es unser dunkelstes und melancholischstes Album ist.
WZ: Was war der Grund für diese düstere Stimmung bei "Blissard"?
MP: Depression!? Ich weiss nicht mehr. Die Musik ist nicht so offensichtlich düster, wie wir
sie mal gemacht haben, so traurig und wütend; sie ist subtiler und effektiver. Oberflächlich
mag sie poppy und snappy klingen, aber sie ist tiefer, wenn man genau hinhört.
WZ: Wovon handeln die Texte?
MP: Wir wollen keine definierte Bedeutung vorgeben; das muss jeder selbst herausfinden.
Meist halten wir das ziemlich offen. Es soll ja ein Teil von Dir werden, nicht ein Teil von uns.
Du kaufst so eine Platte und lässt Dich auf sie ein. Jeder macht das auf seine Weise und deshalb
nimmt sie auch immer einen anderen Platz im Inneren eines jeden ein. Es kann eine Geschichte, ein
Cut-Up-Ding oder ein Wortspiel sein.
WZ: Denkst Du, dass zukünftige Alben ähnlich wie dieses klingen werden, oder gibt es da den
Wunsch, viel mehr zu experimentieren?
MP: Schwer zu sagen. Kein Album werden wir noch einmal machen. Könnte instrumenteller aber
auch leichter und poppiger werden. Ich könnte auch ein Heavy-Metal-Album schreiben.
WZ: Gibt es Raum für persönliches Erleben, wenn man als Musiker unterwegs ist, habt ihr ein
'wirkliches' Leben?
MP: Oh, ja. Aber wir haben immer versucht die Beschränkungen auszudehnen, haben natürlich wenig
Zeit für andere Dinge, aber wir haben alle Freunde, die nichts mit Musik zu tun haben, so dass
man mal davon weg kommt. Aber es ist schon ein Ganztagesjob. Wenn wir nicht unterwegs sind, spielen
wir sehr oft zusammen. Normalerweise sind wir 6 Tage pro Woche im Proberaum und haben Spass dabei.
WZ: Ist da noch genug Privatsphäre? Raum für neue Gedanken?
MP: Raum für neue Gedanken: Ja, Privatsphäre: Naja. Es ist gut, wenn man die Möglichkeit hat,
etwas schnell herauzulassen. Dauert der kreative Prozess zu lange, wird's langweilig, und man ist
frustriert. Von der Idee - zur Gitarre - zu den Worten - zur Band ist es ein Instant-Prozess. Bei
den Touren erleben wir eine Menge. Wir reisen nachts, wachen morgens in Rom auf und können uns
die Stadt ansehen. Da gibt's 'ne Menge neuer Eindrücke, die wir dann irgendwie verarbeiten und in
unsere Musik einfließen lassen. Und natürlich lernt man viele Leute kennen.
WZ: Seid ihr noch in anderen Bereichen kreativ?
MP: Ja, Snah arbeitet mit 'Deathprod.', dem Schattenmitglied von Motorpsycho. Wir sind '93/'94
mit ihm getourt, bis er aufhörte, um sich auf die Studioarbeit zu konzentrieren. Er ist Komponist
und hat ein paar Alben mit klassischer Musik herausgebracht. Snah spielt Violine bei ihm.
WZ: Linne sieht die CDs: Was gibt Euch Sun Ra?
MP: Ein neues Klangspektrum, Dimensionen und Ideen. Ich habe nun endlich den Code des Jazz
geknackt, weiss worum es geht und eine ganz neue musikalische Welt hat sich mir eröffnet. Mit
John Coltrane fing es an, und mit Sun Ra geht's jetzt weiter. Die Syntax von Musik und Sprache
ist nicht so einfach zu adaptieren, aber es ist ein Vergnügen zuzuhören. Wir fühlen uns dem
Jazz sehr verbunden.
WZ: Gibt es jazzige Aspekte in Eurer neuen Platte?
MP: Es ist eine Frage der Haltung. Eine Menge der Sachen sind improvisiert. Es gibt drei oder
vier Fixpunkte im Lied, dazwischen ist alles locker und unbestimmt. Das haben wir auch live
kultiviert.
WZ: Ihr geht immer noch gerne auf Tournee?
MP: Klar. Nach einigen Wochen in der Enge des Busses fängt der Verstand an zu wandern. Eine
eigene Wirklichkeit baut sich auf, die einen ganz bestimmten Gemütszustand erzeugt, isoliert von
der wirklichen Welt, dass deine Gedanken anfangen zu fliessen, und da ist nichts anderes, was uns
vebindet, als die Musik, die dann unheimlich hart und psychotisch gespielt wird.
WZ: Und der Funke springt dann über zum Publikum?
MP: Oh ja! Wir wechseln für jede Show die Stücke aus, sprechen vorher ab, welche Lieder wir
spielen werden. Manchmal spielen wir "Sonntagskonzerte", sehr spacig, mit ausgiebig gedehnten
Stücken, manchmal "Samstagskonzerte" mit mehr Rock-Elementen. Das Publikum scheint beides zu
mögen.
WZ: Fliesst bei Euch norwegische, musikalische Tradition ein?
MP: Es gibt da die 8-saitige Fiedel, ein Instrument, das man sehr brummend und sonorig
in seltsamen Lauten spielt. Diese Musik ist einerseits tanzbar, wird jedoch auch gerne bei
Begräbnissen verwendet, da die Lieder sehr ausgedehnt, schnurrend, hypnotisch sind. Es ist von
der Auffassung her sicher was bei uns drin, aber wir praktizieren es nicht wirklich. Wir machen
Spässe mit Volksmusik und haben auch ein Country & Western-Album ("The International Tussler
Society") gemacht. Auf norwegisch heisst "tussle" ziellos umherirren, schubsen (vgl. dusslig,
dizzy, daze).
WZ: Welche Veröffentlichungen fandet ihr herausragend seit 1996?
MP: Also einmal die Gill Evans / Miles Davis-Box und zum anderen die letzte Beck (Odelay).
Ich habe ihn vor zwei oder drei Jahren live gesehen und er ist einfach gut, so relaxt. Ich bin
nicht wild auf Neuerscheinungen und bemerke die Sachen erst ein paar Jahre später, um dann zu
sagen: "Oh, was für eine tolle Platte.". Es gibt aber auch wirklich zu viele Platten, um noch den
Überblick zu behalten. Man kann sie einfach nicht mehr verdauen.
WZ: Wie kam Euer Name zustande?
MP: Er ist von einem Fil Russ Meyers entlehnt, mit Runaway-Boys und -Girls. Er passt auf das,
was wir machen, wegen der Energie, die in ihm steckt.
WZ: Was war die langweiligste Frage der letzten Tage?
MP: Mnche Leute konnten nicht umhin, uns über Black-Metal in Norwegen zu befragen.
WZ: Wann fliegt ihr nach Hause?
MP: Morgen werden wir uns auf unseren komplizierten Heimweg machen, über Köln, Düsseldorf,
Kopenhagen, Oslo nach Trondheim. Aber wir reisen ja zum Glück nicht nur physisch, denn wir lernen
langsam Sun Ras "Isotope Teleportation" (singt) "We travel the spaceways from planet to planet.
We travel the spaceways from planet to planet ..."
Linne + Marco Pawert