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  [media stories: german: 1994]



HOW TO KEEP ON ROCKING IN A FREE WORLD? - MOTORPSYCHO

Article taken from the
German HC-fanzine
ZAP, December 1994.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Die Frage in der Überschrift ist ernst gemeint. "Ich habe mir schon die Haare schneiden lassen", erzählt Bent, Bassist und Sänger von MOTORPSYCHO, "um nicht wie einer von diesen R-o-c-k-m-u-s-i-k-e-r-n auszusehen." Wer noch etwas auf sich hält, hält es heute wieder mit den FEHLFARBEN: "Schneid dir die Haare bevor du verpennst".
Schwierige Frage, Krise für alle Musiker, die noch etwas Gefühl in den Fingerspitzen haben, also ein anderes Gefühl als das, das gerade mal dafür da ist, Geldscheine zu zählen. Es ist wieder Zeit, sich vom Rock abzugrenzen. Es ist wieder - pöh - 1976. Na ja, nicht ganz. Eine andere Ausgangssituation. Aber dasselbe Kribbeln in den Nervenspitzen. Das Bedürfnis, sich gegen einen Stillstand und gegen eine alles beherrschende Selbstgefälligkeit aufzulehnen. MOTORPSYCHO aus Schweden, eine waschechte Rockband, sitzen zwischen beiden Stühlen. Einerseits sind sie zu hundert Prozent drinnen, andererseits wollen sie raus.

Lärmende Kneipe im Frankfurter "Nachtleben". An unserem Tisch sitzt ein Achtzigjähriger mit Gamsbart in Heidegger-Hosen, eine verkalkte Ernst Jünger-Gestalt, die den Kontakt "Zur Welt" sucht und während dem Interview unablässig auf uns einplärrt. Daß wir Englisch sprechen, irritiert den Stalingrad-Fuzzi kein bißchen. Das Tape gibt beim Abhören eine Woche später fast nichts mehr her. Die restlich vernehmbaren Fetzen klebe ich zusammen mit meinem trotz Alkohol doch noch beachtlichen Erinnerungsvermögen. Es war eine Promo-Tour. Also eine Musikerreise ohne Konzerte. Alleine dazu da, Interviews zu geben, zu werben. Ich sage ja: MOTORPSYCHO sind drinnen. Wenigstens wollen sie da auch wieder raus. Aber wer will das inzwischen nicht mehr?

"Keep on rocking in a free world". - Wenn etwas momentan maximal frei ist - besser: sich frei gibt -, dann der Musikmarkt. Das unterscheidet die Situation von 1976, damals war alles bis zum Rand mit Mainstream abgesättigt: CHICAGO, SUPERTRAMP und E.L.O. schleimten um die Wette, von irgendwelchen abgedrehten Hippies keine Spur mehr. Der pure Stillstand - ein Getriebe im Selbstlauf und nirgens jemand, der dorthinein hätte Sand schütten wollen. Bis Punk explodierte. Auch heute erleben wir etwas, was sich wohl am besten mit den Vokabeln "Sattheit" und "Stillstand" bezeichnen läßt, obwohl gerade nicht Bands wie CHICAGO dafür verantwortlich sind, sondern der harte, ruppige "Underground". Überflüssig sie hier alle aufzuführen: NIRVANA, CRO MAGS, DINOSAUR JR., SICK OF IT ALL, LEMONHEADS, ROLLINS BAND und nun sogar der oberquere BECK. Der Katalog von Funhouse / Frontline bot 1988 all das als tiefsten Underground an, was heute MTV am Leben erhält. Gamsbärte zieren die Städte und ich glaube erstmals, "die Jugend" nicht mehr verstehen zu wollen.
Nichts gegen Frontline - denn wer hätte all das damals schon ahnen können? Nur: die Stagnation trägt heute ganz andere Züge und macht es wesentlich schwieriger, gegen sie zu reagieren. Gegen CHICAGO und SUPERTRAMP zu reagieren, war ja noch relativ leicht. Wie aber soll man Gangsta Rap und Rollins auf der linken Spur überholen? Was tun, wenn das kompromißlos Harte, das haßerfüllt Abweisende zum Kanon geworden ist? Dagegen jetzt etwa mit süßen Liedern reagieren wie BJÖRK und HEATHER NOVA? - Ach nee, geht auch nicht.
Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, Musiker wie HENRY ROLLINS wären nun unsere Feinde geworden, weil sie Konsenz geworden sind. Es ist die Situation an sich, der man feindselig, aber gewissermaßen ohnmächtig gegenübersteht: In der "free world" ist es einfach zu frei geworden. Zu viel geht durch. Wo nichts mehr stört, bleibt Wut und die geballte Faust, die gar nicht mehr weiß, wo sie einschlagen soll. Ach, seufz, damals als Punk begann, war alles noch so viel leichter. Zumindest aus heutiger Sicht.

Ich hatte MOTORPSYCHO schon einmal interviewt, 1993, nach dem Longplayer "Demon Box". Die Platte gefiel mir, weil sie wie ein Sampler aufgemacht war: die Band switchte sich von Stil zu Stil, klang mal wie FUGAZI, mal wie eine quere Grunge-Ausgabe, mal kamen sie rein akustisch daher oder präsentierten folkloristiosche Stückchen.
Bent: "Ein Ausweg aus der Krise ist das auch nicht, ich weiß. Ich glaube, daß es heute den homogenen Stil, der die Musik noch einmal revolutioniert nicht mehr geben kann. Nicht so wie Punk. Was bleibt ist: Ein Haufen guter Songs. Gute Songs sind überall zu finden: Im Grunge, im Punk, im Folk, in der Country-Musik. Weil dem so ist, beschränken wir uns nicht mehr, sondern bedienen uns all dieser Stile, wo sie auf den Song passen, den wir geschrieben haben."
Klingt simpel, ist auch okay, aber Zeichen einer ausweglosen Lage. Den letzten Satz zu diesem Thema schrieb JOHN ZORN mit NAKED CITY. Die dichte Wahnsinnscollage aus allen populären Stilen: Zusammengeklebt im Nebeneinander wurde jeder Stil für sich als hoffnungslos verbraucht entmachtet. Nach NAKED CITY schien mir, war "Crossover" überflüssig geworden. Diese Band markierte ein geschichtliches Datum. Wer brauchte danach noch LIVING COLOUR und FAITH NO MORE? - MOTORPSYCHO gehen nun anders an die Sache ran: Nicht mehr der Stilmix innerhalb eines Songs, sondern als Puzzle auf der Platte verteilt (obwohl der harte 70's Rock mehr und mehr dominiert). Eine bessere Methode, aber noch keine Lösung in Bezug auf diese momentane Willkür, in der alles auseinanderfließt.
Wie? - Was ich will? - Irgendetwas Einheitliches? - Eine neue Bewegung? - Bewahre! Nein, doch die Frage ist ja, ob mit dem Verlust jeglichen Bezugssystems nicht auch jede Form von Präsenz verschwindet - und damit auch jegliche Möglichkeit zur Provokation. Wo ROLLINS und Gangsta Rap etwa den Raum einnehmen, den einst Simon & Garfunkel eingenommen haben, bricht der Underground zusammen: Subkultur hört als Gestus auf zu existieren. Und damit endet auch subversives Vorgehen. Wo das Härtesete zur Norm geworden ist, kann nicht mehr mit Härte gegen die Norm vorgegangen werden. - Was tun? Interessanterweise gibt es schon einige in den Ansätzen gelungene Versuche. Im Film zum Beispiel hat Wenzel Storch mit "Sommer der Liebe" gerade daraus ein subversives Element geschaffen, sich der überall gängigen Härte zu entziehen. Keine schnellen Cuts, keine MP-Salven, sondern die Ästhetik von Kinderserien wie "Augsburger Puppenkiste" und "Sendung mit der Maus". Mit sofortiger Wirkung: Wenzel Storchs Film - freigegeben ab 18 Jahren - wurde als sexistisch und gewaltverherrlichend angegriffen, nicht "Natural Born Killers". Was zeigt, daß Subkultur "Härte" nicht daraus ziehen muß, Gewalt zu zeigen bzw. zu benennen. Härte entsteht, wo eine Ästhetik sich der Norm entzieht, wo gewohnte Kommunikationsmuster nicht mehr klappen. Wenn PANTERA nicht mehr provozieren und wenn Graffitis von den Stadtwerken finanziell gefördert werden, muß sozusagen ein neuer Code der Abgrenzung gefunden werden - und sei es durch die "Augsburger Puppenkiste".
Wir sind uns einig: Punk ist nicht wiederholbar. Und auch Rock'n'Roll, in welcher Spielart auch immer, hat Grenzen der Belastbarkeit: Wenn SOUNDGARDEN sich heute wie eine Mischung ausLED ZEPPELIN und THE WHO präsentieren, dann hat das Patina. Gucke ich mir doch lieber alte Videos an, was immer noch "echter" ist als für viel Geld eine SOUNDGARDEN-Karte zu erwerben und dann die dritte Generation Gitarren zertrümmern zu sehen. Dietrich Diederichsen klagt in SPEX 12 / 94 darüber, daß den Deutschen alles in und an der Kunst "so fürchterlich authentisch" sein müsse. Damit ich jetzt nicht als deutschtümelnder Rockkritiker gelte: Die Authentizität im alten germanisch-biographistischen Sinne ist mir völlig schnuppe. Da kann gerne iener auf der Bühne stehen, der "in echt" Mathematiklehrer ist, und neben Dreiecken nichts erlebt hat. "Authentizität" interessiert mich nur insofern, als daß Inhalt und Form aufeinander abgepaßt sein müssen - zur Form zähle ich auch den gesellschaftlichen Kontext und das Entstehungsjahr. Eine Scheißband wie CHICAGO ist damit grundsätzlicher authentischer als RAGE AGAINST THE MACHINE, denn CHICAGO verdeckt nichts: ihr Gestus ist so Scheiße wie ihre Musik. Aus dieser Stimmigkeit heraus waren sie angreifbar. Wie aber will man Phänomene wie Grunge angreifen, die etwas anderes vorgeben als sie sind? Hier kommt es zur Kontextverschiebung: Das Harte ist deshalb nicht mehr authentisch, weil es in einem gesellschaftlich abgesegneten Rahmen auftritt - sozusagen zur Sprache des Alltags verkommen ist.
All diese Gedanken sind hier nur angerissen. Ich selbst kann hier nicht den Propheten spielen, der die Lösungen in der Tasche hat. Ich kann aber auch nicht wie Herr Diederichsen den Begriff der Authentizität per se als Deutschtümelei vom Tisch kehren. Ich kann ihn meinetwegen ersetzen, meine aber doch dasselbe, wenn es darum geht, daß Konzerte "klappen", daß eine ganz bestimmte Musik "klappt" ... Walter Benjamin hatte das Aura genannt, auch ein etwas überladener Begriff. Wenn ich mir ansehe, wie einige der vielseitigsten, kompetentesten Musikfans heute - falls sie nicht ganz in Richtung Hip Hop oder Techno abgedreht sind - nostalgisch alte Platten rausziehen, dann stellt sich die Frage: Entweder sind alle jetzt circa Dreißigjährigen, die einst mit Punk aufwuchsen, mich eingeschlossen, umgekippt oder zu Nostalgikern geworden - oder aber das große Gähnen über die Rockmusik der Neunziger liegt daran, daß sie noch anderes kennen. Dann aber ist es nur legitim zu fragen, aus welchem Grund Henry Rollins als Sänger der "Damaged" authentischer ist als Henry Rollins als Gastmoderator auf MTV.
Ich habe MOTORPSYCHO ein zweites Mal interviewt in der Hoffnung, auch Antworten auf all dies zu bekommen: auf die Frage, wie es sich so anfühlt, 1994 Rockmusik zu spielen und damit in Schweden sogar auf dem Harvest-Label rauszukommen. Bent gehört zu denen, die durchaus den abgefuckten Zustand wahrnehmen und sich deshalb in friedliche Zeiten zurückflüchten: NEIL YOUNG und LED ZEPPELIN zählt er auf als Höhepunkte großen Songwritings. Und würdest du sagen, daß Neil Young schlecht geworden ist, daß er heute Scheiße macht?" - Nein, würde ich nicht. Wenn man Neil Young mag, dann kann man ihn auch heute mögen. MOTORPSYCHO gehen vom "good song" aus, der als solcher zeitlos ist; deshalb spielen sie auch gute Songs, haben ein Gespür für gute Rockmusik in einer Zeit, in der Rockmusik generell fragwürdig geworden ist.
Dasselbe ließe sich auch über NIRVANA sagen.

Neueste Meldung: Der Rest von NIRVANA macht jetzt mit Jad Fair (HALF JAPANESE) weiter. Was uns das sagt? Daß das Bezugssystem Underground kaputt ist. Irgendwelche Krach-Japaner wie MASSONA mögen noch unter diesem Etikett wahrgenommen werden, unterm Strich ist allerdings selbst der schrägste Klampfer und Krächzer von MTV entdeckt worden. Aus diesem Grund kann man Authentizität einklagen - auch dann, wenn die Musiker an sich nicht schlechter geworden sind. Und aus diesem Grund entstehen so viele BLUMFELDS, die SPEX mit der Etikette "Diskursrock" versah: Man kann Rockmusik derzeit nur noch aus der Distanz wahrnehmen, beurteilen und spielen. Wer dies nicht tut (GUNS'N'ROSES, RAGE AGAINST THE MACHINE u.a.) versagt auf ganzer Linie.
Bent: "Ich gehe davon aus, daß eine Zeit kommen wird, in der man die musikalischen Phänomene von heute neutraler bewerten wird. Die guten Songs werden überleben. Wenn wir eine Handvoll dazu beigesteuert haben, ist das doch schon ein Grund, zufrieden zu sein."

PS: Laut Frank Schütze (erinnert sich noch wer?) handelt es sich bei MOTORPSYCHO um eine erstklassige Liveband, die den Saal wegbläst und ganz und gar nicht grungy rüberkommt. Ich Dödel habe schon zwei Interviews gemacht und sie noch immer nicht live gesehen. ("Gar nicht street, ey").

PPS: Soeben erschien auf Stickman Records "Wearing Yr Smell", eine 5 Track EP (28 Minuten Spielzeit), das nächste voll lange Album "Timothy's Monster" steht uns 1995 ins Haus.

Martin Büsser