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  [media stories: german: 1993]



Es wäre eine Beleidigung, uns eine Grunge-Band zu nennen.

Interview with Bent taken from the
German HC-fanzine
ZAP #69 - July 1993.
In German.


  scan of the original article
 
Scan of the original article. Nice photo of the band...despite of Martin Büsser being a cool writer about 'family'-bands and experimental stuff he in this article/interview makes the same fault as some other music journalists on this early stage of MP-media-appearances: "Singer Burt..." ((-;

Motorpsycho

Mensch gucken die böse auf dem Photo. Und machen doch so nette Musik. Sänger Burt [sic!] ist nicht nur ein sehr aufgeschlossener Gesprächspartner, er und seine Jungens haben es außerdem geschafft, bei mir mal wieder richtig tiefe Emotionen, so ein packendes Schaudern und Kopfzucken durch einfache heavy Rockmusik hervorzurufen. Nach der Flut an dünner Suppe unter dem Decknamen "Grunge" und "Alternative Rock", wegen der ich für mich schon ausgemacht habe, daß eine verzerrte E-Gitarre das schlimmste Instrument des Universums ist (ist es ja eigentlich auch wirklich, siehe Ted Nugent und Gleichgesinnte) und US-Underground tausendmal grauenhafter als eine Woche lang pausenlos MTV gucken - nach all dem kommt ausgerechnet von einer norwegischen Band diese Platte namens "Demon Box" in meinen Briefkastenschlitz geplumpst und versöhnt mich im Nu wieder mit der guten alten Heavy-Schule. Kommt dazu, daß MOTORPSYCHO keine ausgesprochen hart rockende Band sind, sondern daß sie von Stück zu Stück Tempo und Stimmung wechseln, daß sich "Demon Box" fast wie ein Sampler anhört...vom Folksong mit Geige zum Gerocke im Stil früher SOUNDGARDEN, von einer Akustik-Ballade zu Punk, von einer MOONDOG-Coverversion zu düster psychedelischen Klängen mit IGGY POP-Einschlag (ja alles nicht neu, aber gut gemacht) - und dabei auf den ganz harten, metallischen Songs mindestens so fettig wie MUDHONEY mit ihrer "Superfuzz Bigmuff"... Geröhre also, bei dem keine Sekunde lang der Eindruck aufkommt, es wäre in irgendeiner Form trendig abgekupfert. Was MUDHONEY damals auch nicht waren. Musik, die ihren eigenen Gesetzen folgt, in sich selber ruht (und deshalb stößt auch jeder Song in ein anderes Genre vor) und die daher selbst in Songs, die man für "Grunge" halten könnte, stürmischer und wechselhafter ist als alle neuen Veröffentlichungen aus dem Stadtbereich Seattle.

Burt: "Es wäre eine Beleidigung, uns eine Grunge Band zu nennen. Es gibt natürlich einige Songs, die sehr danach klingen - harter Rock eben. Aber diese Art von Rockmusik gibt es schon lange vor Grunge. Im Gegensatz zu den meisten Seattle-Bands, entwickeln wir den Sound und den Typ von Musik für ein Stück immer abhängig von dem Song, der da entstehen soll. Für uns sind gute Songs entscheidend, deshalb all unsere Stilbrüche, nicht ein bestimmter Sound und ein bestimmtes Genre. Wenn du Dir den Grunge-Boom in Amerika ansiehst, hörst du ja selber, daß da momentan der letzte Scheißdreck ausgeschlachtet wird. Keine Ideen mehr, nur noch die Jagd nach einem ganz bestimmten, langweiligen Stil. Aber es ist ja immer so, daß die Major-Label erst auf einen Stil springen, wenn er längst ausgepowert ist. Das, was die Majors heute als "Alternative Rock" rausbringen, interessiert kein Schwein mehr. Klar es hat einmal eine lebendige Szene in Seattle gegeben, aber das war vor Jahren. Leider ist es immer so, daß träge Säcke in den Major-Büros bestimmen, welche Bands einen Vertrag bekommen. Träge Säcke, die einen Trend erst dann bemerken, wenn längst nichts mehr davon übrig ist. Deswegen findest du die besten Veröffentlichungen immer noch auf kleinen Plattenlabels."

ZAP: Es gibt keinen typischen MOTORPSYCHO-Stil, denn jeder Song von Euch klingt anders. Ist es Euer Konzept, die Leute zu irritieren, um sie damit an ihren eigenen musikalischen Grenzen zweifeln zu lassen?
Burt: "Wenn wir das erreichen, ist das schon mehr als wir erhoffen können. Ich selbst kapiere sowieso nicht, wie so etwas wie eine festgefahrene Musikszene zustandekommen kann. Diese freiwillige Limitation. Ich halte dieses "up and Down" in unserer Musik für vollkommen normal. Schau mal, richtig populäre Rockstars haben das doch genauso gemacht: LED ZEPPELIN zum Beispiel. Oder noch extremer die späten BEATLES. Auf den späten BEATLES-Platten ist jedes Stück anders als das Vorherige - es gibt keinen einheitlichen Stil. Ich halte also das, was wir machen, gar nicht für so ungewöhnlich. Ich denke eher, daß die Rockbands, die in unserer Zeit gerade so gut ankommen, völlig daneben sind, keinerlei Phantasie mehr haben. HELMET haben zum Beispiel auf jeder Platte ein bis zwei gute Songs und der Rest klingt wie eine Kopie davon, ist völlig überflüssig. Eine Platte zu machen, auf der jeder Song wie der andere klingt, wo alles nur einen einzigen Stil hat, ist doch furchtbar langweilig. Damit tötest du alles ab, was notwendig ist, um einen guten Song zu schreiben. Der Song braucht nämlich immer ganz bestimmte Arrangements und Sounds, die du je nach Stück neu bestimmen mußt."

ZAP: Interessant auch, daß ihr auf "Demon Box" eine Coverversion von MOONDOG habt ("All Is Loneliness")...
Burt: "Kennst du das MOONDOG-Stück? - Ich kenne es nämlich nicht. Der Song ist eine Coverversion von BIG BROTHER & THE HOLDING COMPANY, der JANIS JOPLIN-Band. Wie es im Original von MOONDOG klingt, weiß ich gar nicht. Interessant daran ist sicher, daß MOONDOG ein geschätzter, hoch gehandelter Musiker ist, während wir als Rocker niemals die Chance haben, als ein Stück Kultur gehandhabt zu werden. Eigentlich ist es ja auch völlig egal ... es ist nur so irrwitzig und dumm, nach welchen Gesichtspunkten Musiker für kulturell hochwertig gelten und andere nicht."

ZAP: Ist Eure Musik auch live so voller Kontraste wie auf Platte?
Burt: "Nein. Das läßt sich schwer realisieren. Es wäre absolut aufwendig, all das mit uns rumzuschleppen, was für eine Vielfalt sorgen würde, wie du sie auf Platte hörst ... also Keyboard und Geige und sonstige Instrumente im Tourbus. Live sind wir, auch wenn wir ab und zu akustische Stücke spielen, eher eine Hardcore-Band."

ZAP: Gibt es für Euch Möglichkeiten, in Norwegen aufzutreten, im eigenen Land bekannt zu werden?
Burt: "Na ja, es gibt so zwischen zehn bis zwanzig Clubs, in denen wir spielen können - sehr wenig also. Ich weiß nicht, es gibt eigentlich auch keine richtig offene Musikszene in Norwegen, es gibt nur so ein paar festgefahrene Orte ... LIFE BUT HOW TO LIVE IT kommen zum Beispiel gut an, aber die haben Erfolg, weil sie Hardcore machen, also auch einer festen Szene angehören, die solche Musik hören will und  n u r  solche Musik. Dann gibt es noch eine aktive House-Szene in Norwegen ... also, es ist schwer, dort Fuß zu fassen. Du mußt allerdings auch bedenken, daß allein Berlin so viele Einwohner hat wie ganz Norwegen zusammengenommen. Dadurch ist die Kultur in Norwegen eine ganz andere - es gibt dort nicht so viele Extreme, die aufeinanderstoßen, wenig kulturellen Austausch. Das hat auch seine Vorteile, denn in Norwegen gibt es keine Probleme mit Nazis und Rassismus. So etwas kennen wir nicht. Es ist ein Land von Bauern und kleinen Dörfern."

ZAP: Also ist es auch unmöglich, von einer typischen Rockmusik aus Norwegen zu sprechen?
Burt: "Wir versuchen schon, etwas spezifisches zu machen, indem wir ab und zu Folklore in unsere Stücke aufnehmen. Aber im Großen und Ganzen ist die Musik natürlich von England und Amerika dominiert. Aber das ist ein Problem, das du überall hast, auch in Deutschland. Hefte wie der MELODY MAKER, die angeben welche Trends gerade angesagt sind, nehmen lieber eine beschissene englische Band als Titelstory bevor sie sich einer Band aus Deutschland oder Norwegen widmen. Dadurch haben sie das absolute Monopol. Die Jugendkultur wird von Amerika und England bestimmt und in die Welt getragen - sie wird international, überall auf der Welt spielen Bands diesen Sound nach. Um dem nicht ganz offen aufzuliegen, gibt es in unserer Musik sehr viel Raum für Folklore."

ZAP: Welche Instrumente und welche Stimmung ihr für ein Stück verwendet, sagst Du, hängt ganz vom Song ab. Das bedeutet also...
Burt: "... es bedeutet, daß wir uns gehen lassen, wenn wir Musik machen, daß wir nie verkrampft sind. Wir sind absolut gegen alles Theoretische. Eine Entscheidung, zum Beispiel eine Geige einzusetzen, fällen wir ganz spontan, ganz ohne den Anspruch darauf, damit etwas Besonderes zu machen. Der erste Song auf der LP - nicht auf der CD - ist ein krasses Beispiel dafür, wie wir arbeiten. Wir haben diesen Song noch nie zuvor gespielt. Wir spielten ihn das erste Mal und haben ihn sofort auf Platte gepreßt. Dadurch entstehen die direktesten Stücke - indem man sich beim Aufnehmen einer Platte nicht verkrampft, etwas Besonderes, lange Einstudiertes zu spielen, sondern indem man einfach loslegt, aks würde es sich um eine Session im Proberaum handeln. Zumindest für Rockmusik ist dies ein oberstes Gesetz. Darum spielen wir im Studio alles live ein, nicht hintereinander."

ZAP: Du hast betont, daß die Reihenfolge auf der LP eine andere ist als auf der CD. Hat das einen Grund?
Burt: "Ich mag keine CD's. Ich kann eine CD akzeptieren, aber ich kann sie nicht mögen. Darum werden wir immer auch alles, was wir aufnehmen, als Vinyl rausbringen. Demnächst erscheint von uns eine EP, die ursprünglich nur als CD geplant war. Wir haben uns geweigert, das zu akzeptieren und ein Label gesucht, das bereit ist, davon auch Vinyl herauszubringen. Das italienische HELTER SKELTER-Label hat sich bereit erklärt. In Australien sollten zum Beispiel alle Presswerke für Vinyl stillgelegt werden, doch die Independent-Labels haben die Presswerke aufgekauft. Das ist cool. Es bedeutet, daß wir von dort nach wie vor gute Musik auf Vinyl bekommen werden, während die kommerzielle Scheiße nur noch auf CD rauskommt. Ich denke, dies ist weltweit ein Trend: Unkommerzielle Musik wird sich so schnell nicht dem CD-Diktat beugen."

"Weißt du", sagt Burt im Laufe des Interviews und benutzt damit einen Standartsatz denen man von allen Musikern hört, denen Politik am Hut vorbei geht: "Wir wollen nicht predigen. Die DEAD KENNEDYS sind funny, ich mag das wirklich, was sie machen, aber ich möchte nicht irgendwie eine Autorität gegenüber dem Publikum spielen. Unsere Texte und unsere Musik sind voller Emotionen, verschiedenste Emotionen - das ist, denke ich, auch eine Kraft, die Menschen beeinflußt. Wer bereit ist, eine Band wie uns zu akzeptieren, wer uns mag, gerade weil wir auf jedem Stück anders klingen, eine andere Stimmung verbreiten, ist auch offen genug, sich nicht politisch verführen zu lassen."

Ich weiß nicht, wie oft ich schon dieses Argument von Bands gehört habe, so als müßten Musiker wie Ärzte auf diese Floskel einen Eid schwören ... aber es gibt Fälle (wie zum Beispiel MOTORPSYCHO), bei denen dieses Argument sogar schlüssig klingt. Wenn eine blasse Gitarrenrock-Band aus dem amerikanischen Collegeumfeld erzählt, ihre "emotions" könnten "politics" ersetzen, dann ist das mehr als fragwürdig - deren Musik ist oft so unverbindlich "easy", daß sich auch eine rechte Arschbacke damit keine Probleme macht. Lebendige Beispiele gibt es im Fall BAD RELIGION, LEMONHEADS und DINOSAUR, soll heißen: Ich weiß von durchaus strunzdummen rechten Gesellen, die sich problemlos deren Musik anhören. Anderes Paradebeispiel: Eine Doppel-CD "Best of Underground" mit Bands wie NIRVANA, HENRY ROLLINS, MINISTRY, R.E.M., DINOSAUR und LEMONHEADS (krasse Mischung) als derzeitiger Verkaufs-Highlight im durch und durch konservativen, CDU/CSU-bestimmten BERTELSMANN BUCH-CLUB. Sicher würde der ein oder andere Song von MOTORPSYCHO auch auf das "Liberale Spektrum der Jungen Union"-Publikum abzielenden Sampler passen, doch "Demon Box", die Platte als Ganzes, lebt von den wenig verkäuflichen Kontrasten. MOTOR- PSYCHO sind absolut unpolitische Rocker, die durch ihre Vielseitigkeit dennoch dazu beitragen, ein Stück (Musik-)Politik zu machen: "Wer in Rastern denkt", sagt Burt, "ist leicht verführbar. Musikalische Intoleranz sagt sehr viel darüber aus, wie Menschen sich in Grenzsituationen verhalten. Wenn jemand von sich glaubt, das Wahre gefunden zu haben, sei es auch nur in der Musik, zeigt er, daß er gegenüber Ideologien verführbar ist. Das Schlimmste, was man uns nachsagen könnte."

Martin Büsser