Article / Interview taken from the
German gothic-magazine
ZILLO, February 2000.
German.
Es war ja schon immer sicher, dass man bei einem neuen Motorpsycho-Album nie sicher sein
konnte, was einen erwartet. Diesmal haben die Norweger es allerdings auf die Spitze
getrieben: Keine verzerrten Noise-Gitarren, kein ausufernder Psychedelik-Rock wie auf
dem letzten regulären Album "Trust us" von 1998 oder der 99er "Roadwork"-Live-CD, nein,
"Let Them Eat Cake" beginnt mit Geigen zu einer zurückgenommenen Bandbegleitung, sprich:
Akustik-Klampfe, Bass und schlicht-solidem Schlagzeug-Groove.
Weitere Akzente setzen im Verlauf noch eine Bläsersektion und ein Pianist - ja, wir haben
es hier mit ausgesprochen geschmackvoll orchestriertem Pop zu tun, der allerdings mit
der motorpsychotypischen lässigen Intensität und verspielten Ernsthaftigkeit rüberkommt,
und damit teilweise wie die ausgearbeitete 16:9-Version mancher Ansätze ihrer 1994er-Großtat
"Timothy's Monster" wirkt. Ebenfalls für motorpsychotische Verhältnisse ungewöhnlich:
eine durchschnittliche Songlänge von gerade mal fünf Minuten...
Bent, Sänger und Bassist: "Wir sind so sehr auf den Punkt gekommen, wie es uns
möglich ist. Es steckt uns einfach im Blut, lange Songs zu machen. Aber es war unser
erklärtes Ziel, diesmal nicht auszuufern."
Zillo: "'Blissard' kam doch 1996 auch sehr kurz und bündig zur Sache?"
Bent: "Ja, aber das war eine ganz andere Stimmung. Die beiden Alben liegen für mich
so weit auseinander, dass ich sie gar nicht miteinander vergleichen kann, nicht nur von
der Stimmung, auch von Songwriting und Instrumentierung her. Bei 'Let Them Eat Cake'
mussten wir Platz lassen für die ganzen zusätzlichen Instrumente, die wir nicht selber
spielen konnten, uns also im Gegensatz zu dem, was wir in den letzten Jahren gemacht
haben, ziemlich zurückhalten. Wir mussten lernen, light zu spielen; es grooven zu
lassen, ohne volles Rohr zu geben. Das war ein sehr intensiver Lernprozess."
Zillo: Nach welchen Gesichtspunkten habt ihr die anderen Instrumente eingebaut?"
Bent: "Das hing immer von der Stimmung des Songs ab. Wir hatten schon seit Jahren vor, ein
Album wirklich bis zum Anschlag zu arrangieren, uns aber nie Zeit genommen, das endlich
mal zu tun. Nach 'Trust Us' war die Zeit reif. Und nachdem wir einmal beschlossen hatten
'Okay, wir werden diese Songs nicht unbedingt live spielen können, also lasst uns richtig
loslegen, mit allen Schikanen', begannen wir, nicht mehr zu überlegen 'Was könnte hier
die Gitarre spielen?', sondern 'Wie kann man hier die Streicher einsetzen, oder passen
die Bläser doch besser?'. Mit dem Ansatz schreibt man einfach andere Melodien als für die
normale Power-Rock-Trio-Besetzung."
Zillo: "Wieso fallen eure Alben immer so unterschiedlich aus?"
Bent: "Als Mensch geht man nun einmal durch verschiedene Phasen, in denen man total auf
bestimmte Sachen steht, bis man damit fertig ist und sich auf etwas anderes stürzt, mit dem
man sich dann intensiv beschäftigen kann."
Zillo: "Aber viele Bands machen das nicht so extrem wie ihr."
Gebhardt, Schlagzeuger: "Dann muss es in anderen Bands ziemlich langweilig sein."
Alle: (lachen)
Bent: "Wir haben nie eingegrenzt, was Motorpsycho sein kann. Daher können wir hingehen,
wo wir wollen, egal, wo uns das hinführt. Viele Bands finde ich wirklich langweilig,
weil sie so eng definierte musikalische Ausdrucksmöglichkeiten haben, was für ein
Album in Ordnung gehen mag, vielleicht auch noch für ein zweites, aber spätestens ab
dem dritten fängt man an, sich zu wiederholen. Das soll mir nicht passieren."
Zillo: "Macht ihr also bewußt jedes mal etwas Anderes?"
Bent: "Es entwickelt sich einfach. Wenn wir etwas Neues machen, kommen wir in eine
gemeinsame Schreibstimmung. Die neuen Stücke sind alle innerhalb von sechs, sieben Monaten
entstanden, und sie spiegeln wider, was uns zu der Zeit interessierte. Aber ich kann immer
erst im Rückblick sagen, was wir da eigentlich genau gemacht haben, was die Songs
tatsächlich verbindet."
Gebhardt: "Man hat ja auch als Musikhörer verschiedene Phasen. Z.B. sind wir
zwischenzeitlich total auf die Allman Brothers abgefahren und hatten dann im Proberaum
viel Spaß dabei, selber etwas auf die Beine zu stellen, was einen ähnlichen Vibe hat."
Bent: "Was machen die da? Wie funktioniert das?"
Gebhardt: "Genau, und irgendwann wird es dann dein eigenes Ding."
Bent: "Manchmal merkt man sowas natürlich noch deutlich, unser Song 'Whip That Ghost'
klingt fast wie ein Allman-Brothers-Song. Aber auf unserem nächsten Album werden diese
Elemente in unsere Musik integriert sein und sozusagen ein Motorpsycho-Ding geworden sein.
Strawinsky hat mal sehr schön gesagt: 'Mittelmäßige Komponisten borgen sich was aus, große
Komponisten klauen.'"
Zillo: "Zum Albumtitel gibt es doch garantiert eine Geschichte?"
Bent: "Mehrere. Als Marie-Antoinette, die Frau von Louis XVI. erfuhr, dass das französische
Volk hungerte und Brot brauchte, sagte sie: 'Lasst sie Kuchen essen.' Ich mag die Arroganz,
die darin steckt. Es gab überhaupt nichts zu essen, die Revolution war im Gang, und sie
bekam nichts von alledem mit. Und wenn du den normalen Motorpsycho-Power-Trio-Rock als
Alltagsessen verstehst, Wasa oder Kartoffeln also, dann ist das neue Album schon was
anderes, eher wie Kuchen, nicht allzu nahrhaft, nehme ich an, aber süß und schön. Und
drittens haben wir nicht die leiseste Idee, wie die Leute diese Platte aufnehmen werden.
Werden die Fans es mögen, oder werden sie unsden Rücken zukehren? Wie Marie-Antoinette
legen wir also unseren Hals in die Guillotine..."
- Und da liegt meiner auch gleich, wenn ich die Textlänge noch weiter überziehe... Einige
Infos, die ich hier nicht mehr unterbringen konnte, findet ihr in der
Albumkritik.
In diesem Heft.
Manfred Upnmoor