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  [record reviews: blissard]




Motorpsycho
Blissard

Review of Blissard taken from the
German prog-rock encyclopedia
BABYBLAUE SEITEN, September 2001.
German. Found at the babyblaue seiten site.


 
Motorpsycho - «Blissard» - cover - front
 
  1. sinful, wind-borne [5:22]
  2. -drug thing- [4:37]
  3. greener [6:15]
  4. 's numbness [3:57]
  5. the nerve tattoo [4:03]
  6. true middle [4:51]
  7. s.t.g. [9:46]
  8. manmower [4:16]
  9. fools gold [3:57]
  10. nathan daniel's tune from hawaii [6:11]

Motorpsycho
Blissard
Erschienen:
1996
Vergleichbar mit: anderen Motorpsycho-CDs zwischen 1994-99 (Demon Box, Timothy's Monster, Angels and Daemons at Play, The Nerve Tattoo, Ozone, Trust Us)
Note: meine Platte des Jahres 1996, deshalb: 10 Punkte
Anspieltip: "S.T.G. / Manmower" (hintereinander)

  • Bent Sæther: Bass, Voc
  • Hans Magnus Ryan (Snah), Git, Voc
  • Haakon Gebhardt: Drums
  • Morten Fagervik: Keyb., Vibraphone, Git., Voc
  • Helge Sten (Deathprod): Theremin, Samples, Oscillator

Der "Blissard of '96" beginnt verwaschen, abgespaced, erst langsam ins Bewußtsein drängend, dann schlagartig mit dem ersten Akkord von "sinful, wind-borne"...und plötzlich merkt man die Veränderung zu vorher: Hier wird deutlich mehr Wert auf Arrangements und Soundqualität gelegt als auf früheren MP-CDs (wo das Motto "LoFi/NoFi" hieß). Snah (Hans Magnus Ryan) spielt auf der ganzen CD glaub' ich alles über 7 verschiedene Verstärker, um dann nachher für jedes Stück den besten Mix zu finden.

"sinful, wind-borne" ist ein nach vorne treibendes Stück, brachial und wehmütig gleichzeitig, besonders gegen Mitte / Ende, wo Snah sehr stimmungsvolle Akkorde schrubbt.

"-drug thing-" ist ähnlich, noch treibender und auf eine gewisse Art auch wehmütig, nur aggressiver. Snah hier mit einem speedigen Solo, das in einen ruhigen Part mit den für MP so typischen Sound-/Lärmcollagen im Hintergrund übergeht, aber nach 4 Takten wieder zurückkommt und -fetzt.

Wo sonst nur Bassist Bent Saether singt, ist es auf "greener" Snah, und man merkt den Unterschied sofort: Diese zerbrechliche, unausgebildete, schwache, traurige, noch tief Luft holende Stimme... so völlig entgegengesetzt zu Bents lautem und kräftigem Organ. Und Snahs Stimme paßt so wunderbar zu dieser traurigen Ballade, die gelegentlich laut und verzerrt ausbricht, und dann wieder zurückkommt zum traurigen Sänger, der die verlorene Jugend beklagt. Seufz.

"Halte du den Glauben fest... Angst und Sorge wird's nicht wenden"... sagt die alte Frau auf dem seltsamen, krachigen Sprachsample, mit dem "s' numbness" beginnt... dann eine Geigenmelodie, die urplötzlich in ein Feedback-Pfeifen umschlägt... und dann setzt die komplette Band mit einem lauten, 5-sekündigen Gebratzel ein. Danach das energetische Stück mit den bislang druckvollsten MP-Drums (Haakon Gebhardt) im Stil von "sinful, wind-borne" und "-drug thing-".

"the nerve tattoo", das sich zynisch über die Musikindustrie äußert. ("It's still those with the least to say that will be heard"), ist ein nach vorne marschierendes Stück, das man als Gitarrist oder Bassist eigentlich sofort nachspielen will. Später gibt es Pizzicato- Streicher und "Bu-bu-bu-buuuu"-Chöre im Hintergrund. Gegen Ende schön heftig, spacig und abgedreht, die Streicher und anderen Instrumente schaukeln sich hoch wie auf "A day in the life" der Beatles.

Gleich danach der krasse Gegensatz. "true middle" ist ruhig, gezupft, leise, mit Theremin-Sounds im Hintergrund, während Matt Burt seinen eigenen Text spricht: "This life... unfulfilled for so many..." ... "...no tresspassing for life wasted..." ... so stelle ich mir einen norwegischen Spätherbsttag vor. Der Refrain versucht, alle noch verbliebenen Kräfte zu sammeln, doch im Gegensatz zu "greener" gelingt ihm das nicht... alles endet immer mit einem völligen Zusammenbruch... dann wieder die leise, gezupfte Strophe...

... und das geht über in ...

"s.t.g." (sonic teenage guinevere) und "Manmower" (darf man nur zusammen hören!) dem Killer-Stück der CD! Es beginnt mit 2 Gitarren (1x clean, 1x Flageolet), dann setzen leise Bass und Drums ein und explodieren (wirklich) in einem Akkord (...bei dem der Schreiber dieser Zeilen nicht umhin kann, seinen langbemähnten Schädel headzubangen...). Eine Art akustische Verfolgungsfahrt, nur nach vorne, niemals zurückblicken, mit einer unglaublichen Snah-Gitarre (, bei der ich gerne wüßte, wie sie diesen Sound hingekriegt haben): treibend und kompromißlos ohne Ende, dazu ein ebensolches, marschierendes Schlagzeug, später setzt wieder der Theremin von Mitmusiker "Deathprod" ein ...

... und plötzlich ein Schlag, und Stille... als ob man bei der Verfolgungsfahrt über eine Klippe gefahren und im Meer versunken wäre... Theremin-Melodien wie entfernte Lichter, verstreute Gitarrentöne wie vorbeischwimmende, undefinierbare Lebewesen... und dann ist man plötzlich in "Manmower" angelangt, ohne es zu merken; die gesamte CD wird ab hier ca. 2-3 dB leiser. Es beginnt ruhig aber lebendig (ist das ein Widerspruch?) mit 2 cleanen Gitarren und einem Bass, das Schlagzeug kommt später nur für Akzente mit entfernten Beckensounds hinzu. Und später dazu das überwältigendste, überzeugendste Mellotron, das ich jemals gehört habe! (Vergeßt alte Prog-Platten der 70er!). Auftauchen in Richtung Licht und sich zurück zur Oberfläche treiben lassen.

Das gehört zum allerbesten, was MP je gemacht haben... unglaublich emotional... und hat auch heute noch, nachdem ich das einige hundert Mal gehört habe, einen beispiellosen kathartischen Effekt auf mich. Man hat sich durch endlose Regen- und Frostperioden gequält, und plötzlich (Manmower 3:35) bricht die Sonne durch die Wolken, man blickt zurück und ist nicht mehr derselbe, der man noch zu Beginn der CD war.

"fools gold" ist eine ruhige, traurige Ballade, die 1994 in Nürnberg auf einem 4-Spur-Recorder aufgenommen wurde... nach den vorigen 8 Stücken kann man jetzt nur noch dasitzen oder -liegen und zuhören... keine Energie benötigt, und auch keine mehr vorhanden.

"nathan daniels tune from hawaii", von Thereminist Deathprod aufgenommen, ist ein wunderschönes, ambient-artiges Instrumentalstück, so völlig unterschiedlich zu allem, was vorher zu hören war... Ruhe pur... Balsam für die streßgeplagte Seele, während sich im Hintergrund die verbrauchten Batterien wieder aufladen ... die verdiente Belohnung für das Wechselbad der Emotionen, dem man über 55 Minuten lang ausgesetzt war.

Fazit: Motorpsycho's beste CD. Ein Konzeptalbum, das dem Titel mehr als gerecht wird... man wird vom Blissard erfaßt und durchgeschüttelt und ist später nicht mehr derselbe. Einen solchen Effekt haben nur wenige Alben. (zumindest auf mich!)

... ach ja, richtig: Es gibt noch einen versteckten Audio-Track, der ist ähnlich athmosphärisch und soundscapig wie das letzte Stück. Viel Spaß beim Suchen ...

Gerd