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  [record reviews: let them eat cake]



Motorpsycho
Let Them Eat Cake

Two reviews of Let Them Eat Cake taken from the
German prog-rock encyclopedia
BABYBLAUE SEITEN, April – June 2000.
German. Found at the babyblaue seiten site


Motorpsycho
Let Them Eat Cake CD
Erschienen:
1999
Vergleichbar mit: Radiohead meets 70ies meets Violent Femmes (Thomas)
Note: 7 (Christian), 7 (Thomas)
Anspieltip: Big Surprise, Never Let You Out (Christian), The Other Fool, Whip That Ghost, 30/30 (Thomas)

Was haben Motorpsycho zwischen 1995 und 1999 gemacht? Ich weiß es zugegebenermaßen nicht. "Let Them Eat Cake" ist jedenfalls das, was "Another Ugly EP" nicht war und wohl auch nicht sein konnte: ziemlich ausgereift! Motto: "The mind is not a vessel to be filled, but a fire to be lighted." Genau. Bei den Aufnahmen zwischen Februar und August 1999 produzierten Motorpsycho soviel Material, dass es auch noch für ein zweites, vollkommen anders klingendes Album ("Barracuda") reichte. Ein Haufen Streicher und Bläser geben der Scheibe progressives feeling. Die Arrangements sind ziemlich komplex, z.T. jazzig, z.T. an Pink Floyd oder dEUS orientiert. Das Booklet bietet mal wieder keine Texte und doch ausgefallene Cover-Art: Blüten in gelb, grün und rot. Mh.

"The Other Fool" ist ein furioser Opener mit düsterem Streichereinsatz, dabei geradezu progressive in der Struktur. "Upstairs Downstairs" kommt Jazzern wie Proggern gleichermaßen entgegen. "Big Surprise" erinnert mich an die genannte belgische Formation dEUS. Beach-Boys-mäßiger Mittelteil wie auf "How Is Your Life Today?" von Porcupine Tree. Ungeheuer melodisch und doch sophisticated. Einer meiner all-time-Favoriten.

"Walkin' With J." startet mit einem Sax, um dann ziemlich fett u.a. mit reichlich verzerrter Gitarre aufzutrumpfen. Von gleicher Güte wie etwa "Deserter's Song" von Mercury Rev. Bei "Never Let You Out" erstehen Pink Floyd zu Zeiten von Syd Barrett wieder auf. Und wieder dieser unglaubliche Harmoniegesang! Mit 2:45 aber leider viel zu kurz. Überhaupt mangelt es leider an langen Songs. Motorpsycho sprühen vor Ideen, die sie dann aber sehr ökonomisch umsetzen.

Der Rest ist gut, aber letztlich etwas belanglos. "Whip That Ghost" ist ein flockiges Instrumental im Stil von Allman Brothers, Marc Johnson oder Bill Frisell. "30/30" setzt einige psychedelische Akzente. Tatsächlich lässt die CD zum Ende hin etwas nach.

Christian


Was für eine wirklich flippige, gut gelaunte, Spaß machende Sommerplatte! Trotzdem ist Motorpsychos 1999er Werk nie dumm oder klischeebehaftet; schon "The Other Fool" macht deutlich, wo es hingehen soll: Ein Streichquartett spielt schraege Orchestrahits zu einer typischen Violent Femmes-Schrummel-A-Gitarre, wobei die Struktur des Songs immer um eine Ecke mehr führt als man denkt. Dabei nölt eine Stimme ziemlich weit im Hintergrund, dilletantisch, aber unglaublich authentisch.

Überhaupt ist diese Phrase auf die gesamte Platte übertragbar. Überall trifft man auf Schwächen und Ungenauigkeiten der Musiker, aber diese wirken immer nach "Zigarette im Mundwinkel und leck mich eh am Arsch", so ähnlich halt wie Roine Stolts beste Vocals. Der Drumsound z.B. ist eigentlich irgendwo in den frühen Indie-80ern hängen geblieben, aber genau darin besteht eine Nuance des Charmes des Norwegischen Trios: Back to the roots, aber nicht so ganz.

Dementsprechend gibt es immer wieder Gitarrenpop, der aber mehr Ecken und Kanten hat, als man ihm beim ersten Nebenbeihören zutrauen würde; man merkt das vor allem daran, dass es schwer fällt, die CD nur nebenbei zu hören; ich habs versucht und mich in einem Gespräch mit Freunden dauernd selbst unterbrochen, wahrscheinlich von ziemlich verdutzten Blicken begleitet ... Herausstellen möchte ich noch "Whip That Ghost", das einen schrägen, nervösen Bass/Drums-Rhythmus, mit luftig-leichten Gitarrenmelodien vereint, "Upstairs - Downstairs", eine zuckersüße, aber bitterböse Ballade, und "30/30", das in der Ambient-Tradition der besten Eno-Stücke durchaus einen Platz verdient hätte.

An den Vocals werden sich einige Geister scheiden. Entweder man mag dieses Amateurfeeling oder man hasst es – findet es raus! Auf jeden Fall eine dicke Reinhör-Empfehlung; aus dieser Richtung könnte dem Prog einiges an frischen Einflüssen blühen.

Thomas T.