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  [media stories: german: 1995]




Motorpsycho

Interview with Geb taken from the German fanzine
ALL FOR NOTHING #23 / 1995.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thx to Jeanette!


Wir zogen aus, um am 8. Juli in Ahaus beim zweiten MammaMia-Festival eine der momentan innovativsten Bands, MOTORPSYCHO, live zu erleben und zu interviewen. Den vereinbarten Termin gegen 15 Uhr, um mit Motorpsycho ein wenig zu plaudern verpaßten wir nur knapp um eine Stunde. Jürgen, Backstage-Koordinator und ein sehr netter Mensch am richtigen Ort, zeigte uns erst einmal die wichtigsten Örtlichkeiten (Getränke- und Essenstheke), bevor wir dann doch auf Gebhardt, den Schlagzeuger von Motorpsycho, trafen und ihn gleich interviewten.

AFN: Wann und wie fing alles mit Motorpsycho an?
G:
Mit Motorpsycho ging es 1989 los. Wir fanden uns nach und nach zusammen. Vor '89 hatte ich mit Snah (Gitarre) eine psychedelische Rockband. Das verlief sich aber nach einiger Zeit, und Snah traf Bent (Baß, Gesang). Sie spielten ein paar Konzerte, nahmen eine Platte auf. Dann stieg der Drummer aus und sie fragten mich, ob ich Lust hätte mitzumachen. Da ich gerade mit dem Zivildienst fertig war, war das ein guter Zeitpunkt. Es begann damit, daß wir uns kennenlernten und uns mit unseren verschiedenen Persönlichkeiten und Musikgeschmäckern auseinandersetzten. Dann haben wir uns an die Arbeit gemacht.

AFN: Habt ihr euch vorher gekannt?
G:
Wir kommen zwar aus verschiedenen Scenes, aber alle haben miteinander zu tun. Wir leben in einem Künstlerviertel von Trondheim, in dem sehr intensiv gearbeitet wird. Viele künstlerische Sachen in Norwegen passieren dort.

AFN: Habt ihr momentan Kontakt zu anderen Bands oder Scenes?
G:
Ja, sehr viel, weil es so ein kleiner Ort ist, wo jeder jeden kennt. Wenn eine Band ein Video machen will, rufen die aus dem Fenster: "Hast du Lust bei einem Video mitzumachen?", und schon bist du dabei. Ein Freund, der jetzt in Amsterdam lebt, hatte in Deutschland eine Ausstellung. Er macht Pornokunst und hat in seinen Videos viel Musik von uns eingebracht.

AFN: Kann man sich darunter etwas wie Andy Warhols Sexfilm vorstellen?
G:
Nicht direkt. Es handelt sich bei seinen Filmen um harte Pornos, die schockieren sollen. Die Leute, die sich die Filme ansahen, erwarteten etwas anderes, was aufgeilendes, und waren dann sehr verärgert, so etwas zu sehen.

AFN: Sehr interessant!
G:
Es wird etwas mit seiner Kindheit zu tun haben, so abgedrehte Sachen zu machen.

AFN: Zurück zur Musik, wie lange seid ihr auf Tour?
G:
Wir sind nur für dieses Konzert in Deutschland und fliegen dann wieder nach Norwegen zurück. Vor zwei Tagen spielten wir bei einem Jazz-Festival in Trondheim. Dort waren darstellende Künstler, die wollten, daß wir dort zusammen spielen, um zu sehen, was möglich ist bei so vielen Musikern und auch unterschiedlich gestimmten Instrumenten.

AFN: Wie reagierte das Publikum darauf?
G:
Sehr unterschiedlich. Die Meinungen gingen von totaler Scheiße bis genial auseinander. Auch die Presse urteilte so unterschiedlich. Wir hatten uns auf dieses Konzert insofern vorbereitet, indem wir uns unterhielten, uns näher kennenlernten. Alle Stücke waren frei improvisiert, bis auf eines. Bei diesem Lied spielten sie ein von ihnen arrangiertes Lied und wir eins von uns zur selben Zeit. Das hat viel Spaß gemacht und neue Horizonte geschaffen.

AFN: Vor ein paar Wochen habt ihr auf dem Dynamo in Eindhoven gespielt. Was kam dort an Feedback?
G:
Viel habe ich nicht mitgekriegt, nur daß sich einige Leute fragten, was wir zwischen all diesen Metalbands zu tun haben. Im Konzertheft stand, wir seien ein Geheimtip. Der Kerrang schrieb dann, daß das wohl auch so bleiben würde. Das war gut gesprochen. Der Metal Hammer gab uns ganz gute Kritiken.

AFN: In MTV war ein Dynamo Special, aber ohne euch, warum?
G:
MTV wollte 3000.- dafür haben, daß wir gesendet wurden, ohne uns eine schriftliche Zusage zu geben, also lehnten wir ab, zumal dieses Special und das Geld, das wir zahlen sollten, ohnehin nur für den Zweck gedacht war, das Biohazard-Video zu finanzieren und zu präsentieren.

AFN: Wie wird es weitergehen mit Motorpsycho?
G:
Wir werden im August nochmal in Deutschland touren und dann im September eine neue Platte aufnehmen. Allerdings wird die Arbeit vielleicht unterbrochen werden, weil der Staat vor hat, durch unseren Stadtteil, "Slaglavum" (?) (1), eine Schnellstraße zu bauen. Das haben sie schon seit vierzig Jahren vor, doch nun ist es ernst. Wir hoffen auf Unterstützung aus ganz Norwegen und Kopenhagen etc., um diesen Bau zu verhindern. Es wäre nicht nur scheiße wegen der Häuser, die abgerissen würden, sondern auch um einen genialen Konzertplatz, wo seit längerer Zeit immer eine Woche jedes Jahr live Musik abgeht. Das soll alles dem Bau einer Straße zum Opfer fallen, aber da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden. Um auf die Gruppe zurückzukommen, bin ich froh, daß wir die Kurve gekriegt haben, es gab nämlich eine Zeit, als wir uns überlegten aufzuhören, weil die Energie, die Intensität nicht mehr vorhanden war.

AFN: Könnt ihr von der Musik leben?
G:
Wir leben nicht von der Musik, sondern für sie. Wir bekommen alle Arbeitslosengeld und halten uns damit über Wasser. Nur Bent bekommt von Radiostationen ein bißchen Geld, weil er die meisten Songs geschrieben hat. Er ist ein Arbeitstier. Wenn ich einkaufen gehe, sehe ich immer seinen Hinterkopf am Fenster und weiß, daß er wieder den ganzen Tag neue Sachen an der Gitarre ausprobiert.

AFN: Was bedeutet dir Musik, und was empfindest du beim musizieren?
G:
Für Motorpsycho gesehen haben wir eine Art kreativen Kollektivs am laufen. Jeder kann mitmachen, und somit erschließen sich neue Möglichkeiten. Ich versuche Stimmungen mit verschiedenen Instrumenten auszudrücken. Wir spielen mehrere Instrumente und können somit dem anderen genau zeigen, was wir meinen. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, ist es Magie. Du kannst dich freimachen, vielleicht so etwas wie einen Orgasmus bekommen. Es kann aber auch, wenn es schlecht läuft, in einem Alptraum enden.

AFN: Wie bist du zum Musikmachen gekommen?
G:
Da war ich 10 Jahre alt. Die wollten im Norden Norwegens ein Atomkraftwerk bauen. Es gab viele Demonstrationen. Dadurch motiviert schnappte ich mir eine Akustikgitarre und schraddelte Punklieder runter, schrieb Songs für meine Großeltern, Eltern und mich, bevor ich in der Schule anfing, Schlagzeug zu spielen.

Dann haben Motorpsycho gespielt, und zwar einen Querschnitt ihrer neun Platten. Sie waren klasse, nur mit dem Baßsound gab's Probleme. Hinterher waren sie alle recht zufrieden und wir auch. Eine weitere gute Band waren Salome, die frischen Death Metal boten. Absolut peinlich dagegen war die Hauptgruppe Such A Surge. Kein Lied der HipHop-Crossover-Kacker verging ohne "Ahaus, wie geht's?"-Zwischenrufe und das am laufenden Band. Dann der Gipfel: beim Mischpult war Stromausfall und Such A Surge konnten vorerst nicht weiterspielen. Dann gings wieder los mit den Worten: "Die scheiß Nachbarn haben den Strom abgestellt. Wir spielen aber weiter mit dem Lied 'Gegen Den Strom'!" Nach zwei Liedern dann folgende Durchsage vom voll kommen beknackten Sänger: "Ahaus, macht's gut, wir können nicht so lange spielen wegen der Nachbarn."

Nun aber wieder zu etwas Erfreulicherem, der besten Platte Motorpsychos: "DEMON BOX". Ohne weitere persönliche, subjektive Eindrücke zu diesem Stück Vinyl wiederzugeben, lassen wir doch Bent, Songwriter, Bassist und Sänger, zu Wort kommen:

1. Waiting For The One
ist derselbe Song wie "The One Who Went Away", nur als eine andere Musikrichtung gespielt. Wir nahmen beide Lieder auf die Platte, weil sie uns gleichgut gefielen. Am Anfang spielten wir die Folkversion, um den Hören zu zeigen, daß wir nicht nur Hardcore machen.

2. Nothing To Say
ist ein bißchen Reggae und ein bißchen D.C.-Core. Es ist sehr auf Improvisation angelegt. Manchmal spielen wir dieses Lied bei einem Konzert 40 Minuten lang. Über den Text brauche ich nichts zu sagen.

3. Feedtime
ich weiß nicht mehr, was die Worte bedeuten. Jeder interpretiert etwas hinein und hat damit ein bißchen recht. Es ist ein sehr energischer Metalsong.

4. Sun Child
ist ein Liebeslied und gleichermaßen Haßlied. Es ist schwer für mich zu sagen, was die Lieder genau bedeuten, weil es zwei Jahre her ist, als wir sie aufnahmen, aber dieses Lied höre ich immer noch gerne.

5. Godrange
ist ein Bonuslied auf der Platte. Ein Hate-Core-Song, den wir in einem aufgenommen haben.

6. Mountain
auch ein Plus auf Platte. Mountain ist ein sehr wichtiges Lied, mit allen Einflüssen, die Motorpsycho ausmachen. Es heißt Mountain, weil wir nach dem Aufnehmen feststellten, daß es wie ein Leslie-West-Mountain-Lied klingt.

7. Tuesday Morning
beschreibt einen Dienstagmorgen. Es ist eigentlich eine Ballade, die wir allerdings so auseinandergenommen haben, daß sie als eine solche nicht mehr erkennbar ist.

8. All Is Loneliness
ist ein alter Song, der in den 50ern von Moondog geschrieben wurde. Er war blind und fuhr immer mit einem Kinderwagen voller Gedichte in New York herum und versuchte sie zu verkaufen. Er trug einen langen weißen Bart und einen Wikingerhelm. Moondog machte auch Platten, die jetzt wiederveröffentlicht wurden.

9. Come On In
dieses Lied hat einen einprägsamen Rhythmus. Entweder man kommt gut drauf, dann ist es gut, wenn nicht, ist es möglicherweise langweilig. Wir haben es auch in einem aufgenommen, und es hat einen sehr nasalen Klang.

10. Step Inside Again
ist ein Remake eines älteren Stückes von uns, nur anders arrangiert. Es ist ein sehr furchteinflößendes Lied. Wir haben hierbei mit verschiedenen Parametern und Hertzzahlen gearbeitet, um diese spezielle Stimmung zu erzeugen.

11. Demonbox
es beginnt mit einem coolen Riff, verändert sich und erhält eine Eigendynamik. Wir spielten dieses Lied bestimmt 100mal und gönnen ihm und uns jetzt eine Pause. Einmal spielten wir ein ganzes Konzert nur mit diesem einen Lied. Demonbox ist ein Kasten mit all unseren Dämonen darin. Es ist ein mächtiges Lied, eine Art poetisches Tagebuch. Der Titel stammt von einem Buch von Ken Kisy (?). Die Violinen am Ende sind Aufnahmen von Snahs Eltern von 1966, das mußten wir reinnehmen.

12. Babylon
ein Lied, bei dem wir Dampf ablassen wollen. Es handelt von der Anonymität in der Stadt.

13. Mr. Who
wieder ein Bonus auf Vinyl. Dieses Lied geht Richtung Tom Waits mit Banjo.

14. Junior
ist ein ähnliches Ding wie bei Mountain, nur mit Dinosaur Jr.

15. Plan #1
ist eines meiner Lieblingslieder von "Demon Box". Ein Freund aus den U.S.A. hat uns ein Tape mit Tönen, die er durch seine Stimme erzeugt hat, geschickt. Sie geben dem Lied eine besondere Stimmung. Dieser Song hat auch eine große Bandbreite von Ideen.

16. Sheer Profoundity
ist ein bissiges Stück, das einfach präsent ist.

17. The One Who Went Away
ist wie gesagt das selbe Lied wie das Erste. Snah schreit am Ende so laut wie es geht, als er keine Kraft mehr hatte, mußte er lachen.

Ich hoffe, ihr seid jetzt etwas weiser.
Wir denken schon!

Alex, Dieter, Kulle

(1) ;-) ... Svartlamon