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  [media stories: german: 1993]



Motorpsycho

Interview with Bent
taken from the German HC-fanzine
OX, 1993.
German. Article found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Seit langem konnte mich keine Platte mehr so uneingeschränkt begeistern wie das 75-mimütige "Demon Box"-Album der norwegischen MOTORPSYCHO. Ähnlich NOMEANSNO schaffen sie es, jedem einzelnen Song Individualität zu geben, so daß es einem nicht wie bei so vielen Platten geht, die man durchhört, ohne an bestimmten Songs hängenzubleiben. "Demon Box" ist nicht einfach eine Platte, es ist ein Opus...

Ich habe gehört, daß ihr schon vor der Veröffentlichung des neuen Albums einige tausend Vorbestellungen hattet.
Bent:
Das war schon recht seltsam, weil wir gut 5.000 Stück verkauft hatten, bevor die Platte raus war, und das ist wirklich a shitload full of records. Ich weiß eigentlich auch nicht, warum wir soviele verkauft haben, weil das einzige, was wir an Promotion gemacht haben war eben nur, daß wir die ersten zwei CDs auf dem norwegischen Label haben und eine Deutschland-Tour gemacht haben im Januar '91. Aber, wow, anscheinend hat einigen Leuten unsere Musik gefallen.

Laß uns über eure Musik reden. Helge hat mir immer wieder gesagt, wie fantastisch MOTORPSYCHO sind, und als ich dann die CD selbst gehört hatte, mußte ich ihm zustimmen. Für mich ist das eine seltsame Mischung aus HELMET-mäßigen Parts, etwas Metal-Rock, 70s und Folk.
Bent:
Es gibt viele Einflüsse in unserer Musik, aber wir haben uns nie direkt vorgenommen, eine bestimmte Art von Band sein zu wollen. Wir spielen die Songs einfach so, wie wir meinen, wie die Songs gespielt werden sollten. Ob es nun ein harter oder folkiger Song ist, wir setzen uns kein Limit über irgend einen bestimmten Musikstil. Deswegen ist das Resultat unserer Musik auch etwas schizophren, glaube ich. Aber egal, was wir machen, es ist immer MOTORPSYCHO-Sound. O.K., für ein untrainiertes Ohr hört es sich an, als ob da drei oder vier Bands spielen, aber es ist nach wie vor MOTORPSYCHO.

Klar, und speziell der erste Song auf der neuen CD ist genial, erinnert mich etwas an die POGUES. Wie seid ihr dazu gekommen, so einen Song zu schreiben?
Bent:
Es ist der gleiche Song, wie der letzte auf der CD. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist? Wir haben den Song erst als "normalen" Song gemacht, und wir haben dann gemerkt, das dieser Song akustisch gespielt auch sehr gut kommt. Und dann haben wir eben im Studio den Song akustisch aufgenommen, einige Harmonie-Vocals darüber gesetzt und als Resultat kam dieser Song heraus, von dem wir sagen, "der ist spaßig". In Norwegen ist MOTORPSYCHO außerdem recht bekannt, und wir hatten so das Gefühl, das die Leute ein bestimmtes Image davon hatten, wonach MOTORPSYCHO sich anhört. Und so hatten wir uns gedacht, daß wir diese Leute am Anfang des Albums überraschen sollten. It's just like completely off the wall and for fun, and it's something else, but it's still typical Motorpsycho sound.

Was würdest du als deine musikalischen Einflüsse bezeichnen?
Bent:
Oh ... das ist schwer zu sagen. Als wir anfingen, wollten wir so klingen wie HÜSKER DÜ, und dann haben wir viele schnelle Pop-Punk-Songs, auch etwas Hardcore. Aber eines Tages schrieb ich diesen ultralangen heavy Noise-Song, welchen wir im Proberaum total immer wieder spielten, und das war dann der "Wow"-Effekt. Das ist es! Wir sind aus den Popsachen herausgewachsen. Auf den ersten beiden Platten kann man noch verschiedene Einflüsse hören, aber auf "Demon Box" kann man die Songs hören, die für MOTORPSYCHO repräsentativ sind. Das sind einige folkig-ruhige und einige wirklich ultra-krachige Songs. Wir hören eben viele verschiedene Stile, und ich z.B. gehe derzeit in die Richtung Country & Western-Musik, wie GRANT POISON oder FINE BURRITO BROTHERS, eben frühe 70er Hippy-Country-Sachen. Und unser Keyboard- und Krachmann hört nur solche Sachen wie THROBBING GRISTLE und andere wirre Sachen. Jeder von uns hat eben seinen eigenen Anspruch an die Musik.

Du selbst hast aber auch diesen Hardcore-Background.
Bent:
Ja, das stimmt, den haben wir. Das mögen wir an Bands, daß sie aggressiv, noisy und heavy sind. Eine unserer favourite Live-Bands sind Z.B. NEUROSIS, weil die so verdammt intensiv sind. Und genau das sehen wir gerne bei anderen Bands. Aber manchmal machen wir das auch ganz anders ... dann wollen wir es eher ruhig haben, mit Violinen, akustischen Gitarren und vielleicht einem Banjo und spielen einfach nur akustische Songs.

Diese Mischung verschiedener Stile könnte man als Crossover bezeichnen, obwohl man diesen Begriff mittlerweile ziemlich vorsichtig verwenden muß, weil er ja mittlerweile inflationär verwendet wird, vor allem von mittelmäßigen Bands, die wohl selbst nicht so genau wissen, was sie eigentlich spielen wollen.
Bent:
Das stimmt. Crossover ist ein Begriff, mit dem ich nicht unbedingt leben möchte. Einfach schon deswegen, weil ich unsere Musik nicht irgendwie kategorisieren will. Was ist Punk, was Folk, Grunge, Heavy Metal oder Psychedelic? In unserer Musik gibt es soviele Einflüsse, daß man unsere Musik wohl einfach nicht auf einen Nenner bringen kann. Wir nennen unsere Musik "Motorpsychedelic", mehr nicht. Wenn uns jemand aber unbedingt als Crossover-Band bezeichnen will ... nun gut.

Ich kam auf Crossover, weil ich in eurer Musik durchaus einen gewissen Grunge-Background feststellen kann. Und es ist weder Punkrock, noch Hardcore, und auch kein Boston-mäßiger Gitarrenrock, obwohl von all dem doch auch Elemente in eurer Musik stecken. Was mir bei euch auffiel war, daß trotz dieses Seattle-Einflusses mehr dahintersteckt, daß alle Songs irgendwie anders klingen. Deshalb Crossover ...
Bent:
Ich bin derzeit auch ziemlich genervt von diesem Trend, aber auch von Bands wie HELMET oder RAGE AGAINST THE MACHINE. An sich sind das gute Bands, sie machen ihre Sache gut, aber wenn du einen Song gehört hast, kennst du alle Songs. Da passiert nach den ersten drei Songs nicht mehr viel. Wir haben bewußt versucht, viel Abwechslung in unser Album reinzupacken, so daß du auch beim fünften Anhören noch was neues Entdecken kannst. Wir wollen die Leute einfach immer wieder überraschen. Man sollte sich ein Album fünfzigmal anhören können, ohne gelangweilt zu sein.

Gibt es denn in Trondheim eine Musikszene?
Bent:
Im Verhältnis zur Größe der Stadt -- Trondheim hat 140.000 Einwohner -- gibt es eine ganze Menge guter Bands: ISRAELVIS, die gerade ein sehr gutes, neues Album aufgenommen haben und schon etwas bekannter sind, und dann eine Reihe neuerer Bands, die auch beim "Subbacultcha"-Sampler dabei sind -- ALBINO SLUG, FUNNY FARM, die eben ihre erste CD veröffentlicht haben, oder HEDGE HOG, die eigentlich eine typische Grunge-Band sind und im Herbst ihr zweites Album rausbringen. Insgesamt gesehen klingen all diese Bands aber doch sehr unterschiedlich und man kann nicht sagen, daß es sowas wie einen typischen Norweger-Stil gibt.

Aber irgendwas muß doch für die norwegischen Bands typisch sein. In Deutschland gibt es Deutschpunk, in Frankreich klingen die Punkbands sehr melodisch, England hat seinen eigenen Stil ...
Bent:
Das war früher mal so, STENGTE DORER, SO MUCH HATE, diese ganzen Bands aus dem Osloer Blitz-Umfeld hat man als typischen norwegischen Hardcore bezeichnet, aber die neuen Bands unterscheiden sich von denen doch deutlich, spielen nicht mehr diese Art von Hardcore. Das soll aber nicht heißen, daß ich diesen Sound nicht mag. Wir spielen immer wieder mal im Blitz, gehören genauso zu dieser Szene. Meinungsunterschiede über Musik spielen da keine Rolle. Ich denke, daß es heute nicht mehr möglich ist, DEN norwegischen Sound zu definieren.

Die norwegische Musikszene ist ja nicht allzu groß. Kann man denn in Norwegen von seiner Band leben?
Bent:
Es gibt vielleicht fünf Bands in Norwegen, die das schaffen. Die verkaufen von jedem Album 20.000 Stück.

Das dürfte für Norwegen eine ganze Menge sein ...
Bent:
Allerdings. Allein in Berlin leben mehr Menschen als in ganz Norwegen, daß mußt du dir vor Augen halten -- und diese fünf Millionen sind auch noch über ein riesiges Land verteilt. Das schränkt die Anzahl der Livekonzerte schon einmal erheblich ein. Insgesamt gibt es vielleicht 50 Auftrittsorte und es ist recht schwer, hier zu touren, weshalb viele Bands lieber nach Deutschland fahren, wo man viel einfacher eine einigermaßen gute Tour machen kann.

Ihr seid ja gerade auf Interview-Tour in Deutschland: Was waren denn in den letzten Tagen die meistgestellten Fragen?
Bent:
Wann wir angefangen haben, was für Musik wir spielen und wie man so viele verschiedene Musikstile auf eine Platte packen kann. Auf Dauer nervt das ganz schön.

Was sind denn eure Pläne für die nächste Zukunft?
Bent:
Wir werden auf dem Roskilde-Festival in Dänemark spielen, wo jedes Jahr gut 80.000 Leute hinkommen. Dort aufzutreten ist der Traum jeder norwegischen Band. Außerdem werden wir bei der POP.KOMM in Köln auftreten und rechtzeitig dafür eine neue EP rausbringen, die neben vier neuen auch zwei Songs enthält, die auf der "Demon Box" keinen Platz mehr hatten. Danach werden wir in Deutschland und dem Rest von Europa auf Tour gehen.

Helge / Joachim Hiller