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  [media stories: 1996: german]




Norway Goes Hifi ...
... Motorpsycho

Article / Interview with Bent around the 'Blissard'-release
taken from the
German alternative-rock magazine
VISIONS, April 1996.
German.


Im Koffer tragen sie den alten Underground-Gedanken mit sich herum: Kein Hype, keine Wiederholungen und kein Stillstand. Im Kulturbeutel bürstiger Schrammel-Rock, süß parfümierte Melodien und rasiermesserscharfe Ideen. Eine Band auf Reisen: Globetrotter in Sachen "always change a winning team".

Im Cockpit sitzen seit Jahren Snah, Gebhardt und Bent. Aber um sie herum wuseln immer neue helfende Hände. So der unentbehrliche Deathprod, der verläßlich die richtigen, nämlich unauffälligen Samples aus dem Meer an verfügbaren Klängen herausangelt. Kein Neuling ist auch Fagervik, der seit den Aufnahmen allerdings schon wieder den Job gewechselt hat: Spielte er neulich noch Vibraphon, Keyboards und andere Sächelchen, ist er jetzt im Motorpsycho-Management gelandet. Wie geeichte Zahnräder greifen bei den Trondheimern die Figuren und Funktionen ineinander. Bent Saether kümmert sich um dreierlei: Bass, Gesangsmikrophon und Journalisten. Seine Aussagen sind einfach intelligent, unterstützt von einer Symphatie, der man sich nicht entziehen kann.

Ihr habt mal wieder einen neuen Mann in der Band, Fagervik.
"Ja, aber Fagervik ist schon wieder gegangen - mehr oder weniger. Er war schon ab August '94 bei uns, aber bei 'Blissard' hat er das erste Mal mit uns aufgenommen. Als wir von den Aufnahmen zu diesem Album zurückkamen, merkten wir, daß es doch nicht so gut klappte, wie es sollte. Jetzt ist er Teil des Managements und kümmert sich außerdem um unsere Light-Show."

Welche Light-Show meint Bent? Etwa Motorpsychos Light-Show?? Ein Ostfriese kauft eine kaputte Glühbirne, um eine Dunkelkammer einzurichten ...
"Gebhardt, Snah und ich sind geblieben, jetzt fahren wir wieder auf der alten Schiene. Wir wollen keinen Keyboarder mehr, die Samples und den ganzen Kram nehmen wir aber doch mit auf die nächste Tour. Ich benutze eine Pedalanlage und manche Sachen macht Gebhardt von seinem Schlagzeug aus. Also bleiben alle Samples und Sounds, die wir auf dem Album verwendet haben, erhalten. Es geht auch ohne Keyboarder. Es wird eine Herausforderung sein, weil drei Leute die Arbeit von vieren erledigen müssen, das wird interessant."

Sein Englisch habe "so einen breiten amerikanischen Akzent, daß selbst Norweger die Texte verstehen können". Das ist zum Glück falsch. Richtig ist hingegen, daß man im CD-Regal neben "Timothy's Monster" und "Demon Box" schon mal Platz schaffen kann, denn da kommt ein "Blissard" aus Skandinavien, der Nachfolger. Er bietet einige Überraschungen, ein paar gute und ein paar weniger gute. Na, ihr Leuts, wie ist es euch denn letztes Jahr ergangen, nachdem ihr für "Timothy ..." so mit Ruhm bekleckert wurdet? "Die Tour zu 'Timothy's Monster' war nett ... vielleicht ein bißchen lang. Wir spielten vierzig Gigs in achtzig Tagen." Für so einen luftigen Tourplan wären andere Bands dankbar. "Wir waren müde, sehr müde ... so richtig müde. Aber es war okay. Eine Menge Leute haben uns gesehen, und wir haben eine Menge Orte gesehen, an denen wir vorher noch nie gespielt haben. Das war eine Herausforderung. Allein in Deutschland traten wir in zehn Städten auf, die wir noch nicht kannten. Diese Tour war wesentlich größer, als alle bisherigen."

Die reine Wahrheit: Wir verkauften in dieser Woche ...

Nur einen Flop erlebten sie im vergangenen Jahr. Nachdem sie einen Country- und Western-Gig gespielt hatten, setzten sie sich in den Flieger, kamen drei Stündchen zum Schlafen und standen dann auf der Bühne des Dynamo-Festivals. Nicht ihr Publikum, nicht ihre Konzert-Dimension, überhaupt nicht ihr Tag, abheften unter einmal-und-nie-wieder. "Unsere Musik ist zu intim für Riesen-Bühnen. Und wir brauchen dieses Gefühl der Intimität beim Spielen. Man kann sich zwar an große Bühnen gewöhnen, aber es gibt mir persönlich nichts."

Auch der Sprung über den Atlantik hat noch nicht geklappt. Ihr Label 'Stickman' hat aber endlich einen Lizenzvertrag, einen Vertrieb über 'Blue Rose' für England und Amerika. "Es ist eine kleine Firma, aber sie ist gut. 'Shark' aus Australien sahen unseren Gig auf der Popkomm. Sie verliebten sich in uns und veröffentlichen jetzt 'Timothy's Monster' in Australien. Gerüchtehalber heißt es, daß es sich dort mit vier- bis fünftausend verkauften Alben lohnt. Darauf setzen wir momentan große Hoffnungen. Aber noch ist nichts sicher: Wir bauen es aus, aber das braucht halt seine Zeit. Wir sind keine so große Band, die ... naja."

Nach sechs Jahren seit ihr noch am Leben, es geht weiter, stilistisch könnt ihr zusammenbrauen, was nach eurem Geschmack ist, das ist doch was! Wenn Bent über Erfolg und Nicht-Erfolg seiner Band spricht, bin ich mir nie sicher, ob er Understatements austeilt oder mit geschickten Fingerspitzen ein Image untermalt. Vor dem Release von "Timothy" saß jedermann der Cobain-Tod in den Knochen. Damals sagte er, die Band solle lieber langsam und gesund wachsen und sich entwickeln können. Daran hat sich nichts geändert. Mund-zu-Mund-Propaganda ist ihm am liebsten, er will die Kontrolle über die Verhältnisse der Band behalten. Bloß nicht mit dem Kopf in den Wolken landen. Nur ein Flirt war insofern auch die Kooperation mit 'EMI Norwegen': "Der Vertrag mit ihnen war exklusiv für Norwegen, aber wenn sie etwas anderes ins Rollen gebracht hätten, wäre uns das auch recht gewesen. Aber es kam nichts dabei heraus. Letztlich vertritt uns 'Stickman' weltweit. Wahrscheinlich ist es unmöglich für eine norwegische Plattenfirma, andere Firmen für ihre Künstler zu interessieren. Für die neue Platte haben wir einen Vertrag mit 'Sony Norwegen' unterzeichnet, aber nur für diese eine. Wir springen hin und her, jetzt sind wir zwischendurch mit Pearl Jam auf einem Label."

Michael Jackson nicht zu vergessen! "Die reine Wahrheit: Wir verkauften in dieser Woche zwei Singles mehr als Michael Jackson - in Norwegen."

Wie langweilig ist doch so oft das Runterleiern von Produzent, Studio, Aufnahmedauer, usw. Ganz anders hier: Für eine Band aus dem Zirkel von ungewohnten Sounds und krachverzierten Süßholzmelodien, wählten sie ein nicht eben naheliegendes Studio aus. Einen Ort, den weltberühmte Plateau-Schuhe gesalbt haben, einen Ort, an dem "Dancing Queen" entstanden ist, "Mamma Mia" und unzählige weitere Perlen des Pop. "Wir haben uns für Abbas ehemaliges Studio entschieden, weil es in Norwegen nicht mehr viele Analog-Studios gibt. Die wenigen, die noch existieren, sind so teuer, daß wir sie uns nicht leisten konnten. Also haben wir dieses alte Ding in Schweden aufgestöbert. Das Mischpult stammt aus dem Jahr 1971! Als wir dann noch weiter in der Geschichte des Studios herumwühlten, fanden wird den Raum, in dem Abba

Meistens hört man kaum, wie seltsam unsere Instrumente gestimmt sind ...

gearbeitet haben. Mit goldenen Schallplatten an der Wand und Photos mit Björn und Beny, wie sie genau an dem Mischpult arbeiteten, das wir jetzt benutzten. Das war echt lustig. Wir dachten: Wow Jungs, jetzt wird's fett. Ich kann mir vorstellen, daß noch ein paar Abba-Vibes in unser Album mit eingeflossen sind´. Es war eine gute Idee, mal woanders aufzunehmen, weil wir immer dasselbe Studio in Finnland benutzt haben, es hing uns langsam zum Hals heraus. Wir spürten, daß unsere Kreativität dort langsam zu leiden begann."

Im Vergleich zu den Motorpsycho-typischen Lo-Fi-Produktionen, die einen immer wieder zwingen, von Song zu Song am Lautstärkeregler herumzudrehen, ist der gesamte Sound von "Blissard" klarer und cleaner; mancher wundervolle Track ist ihnen in der Vergangenheit in der brummenden und rauschenden Stille eines Kellerklangs erstickt, zwischen den Spinnweben und alten Einmachgläsern, die in dem finnischen Studio fester Einrichtungsbestandteil sind. Scherz beiseite: Mit diesem Sound sind Fragen der Identität, des Wiedererkennungswertes und des Vorankommens der Band verbunden. "Absolut richtig. Dies ist wirklich das erste Mal, daß wir uns hingehockt und eine Platte produziert haben! Früher sind wir immer nur mit Skizzen ins Studio gegangen und haben herumprobiert. Diesmal waren alle Songs fertiggeschrieben, alle Gitarren-Parts ausgearbeitet. Richtige Produktion, richtiges Arrangement: Wir wußten, was wir wollten, welchen Sound. Und dieses Studio kann den Sound rüberbringen. Ein äußrst interessanter Prozeß für uns."

Gleichwohl waren ihnen zwei Wochen genug, für Profi-Verhältnisse hört sich das nach Geschludere an, nach unausgereiftem und halbfertigen Tralala. Eine Woche für Aufnahmen, eine weitere zum Mischen, das ist Kleinkram. "Als wir aber nach Hause kamen, merkten wir, ouh, ouh, die Mixe waren nicht gut genug. Also mußten wir fast die ganze Platte remixen, nur die letzten drei Songs sind original geblieben."

Da hat er recht: "Manmower", "Fool's Gold" und "Nathan Daniel's Tune From Hawaii" rumpeln, klappern und wackeln wie alte Leiterwagen hinter dem Track-Treck her. Und wo habt ihr diesen gewissen Nathan Daniel ausgegraben? "Er war ein Amerikaner, der die Gitarrenmarken 'DanElectro' und 'Silvertone' erfunden hat. Sie kosteten um die 100 Dollar, inklusive Verstärker. Auf die Pick-ups waren Lippenstiftröhrchen gesteckt. Billige, wirklich billige Gitarren. Und sie ermöglichen den Sound, in den wir total verliebt sind."

Bent haßt es, wenn er nach Texten gefragt wird, denn ein echter Lyriker interpretiert nicht, was er selbst verfasst hat. Und da sie meist sehr unkonkret sind, windet er sich natürlich flink heraus. "Ich lasse mich immer dorthin treiben, wo die Harmonien des Songs es wollen, je nachdem, was sie mir geben. Für uns markiert die neue Platte etwas ganz Besonderes: Die meisten Songs wurden in verschiedenen 'Stimmungen' komponiert, teils waren es recht seltsame. Entsprecehend reagiere ich unterschiedlich auf die Musik. Ich schrieb erst die Musik und lehnte mich zurück und fühlte: Was sagt mir das? Was kommuniziert da mit mir?"

Bent - live in 1997  

Sie haben jedem einzelnen Song und dem ganzen Album einen Kurzhaarschnitt verpaßt, nicht mal eine Stunde dauern die zehn Stücke - das grenzt für ihre Verhältnisse an Geiz. Was also macht "Blissard" gleichwohl zu einer gelungenen Platte? Nun, es ist der erste Release der Norweger, den man als HI-FI bezeichenen kann. Und trotzdem erkennt man in jedem Moment des Albums ihren ureigenen Stil wieder, die Hochzeit von melancholisch dickem Blut und federleichter Süße. "Meistens hört man kaum, wie seltsam unsere Instrumente gestimmt sind, weil wir versucht haben, Rocksongs, nein Popsongs, zu machen. Einige der Harmonien sind tatsächlich ... nicht normal.Das merkt man aber vor allem, wenn man versucht, sie auf einer normal gestimmten Gitarre zu spielen. Was die Texte angeht: Zum Beispiel 'Sinful, Wind-Borne' ist geprägt von dem typischen Vorstadtgefühl nach dem Motto: 'Ich muß hier raus!'. Bruce Springsteen und sowas. Und es ist gleichzeitig eine Verarschung davon, wir mußten so kichern, als wir es spielten, dieser 'Born To Run'-Quatsch. Es ist beides."

Wenn man von Quatsch redet, kommt man am Booklet nicht vorbei, denn es enthält Quatsch auf höchstem Niveau. Ein kurzer Auszug des winzig gedruckten, wunderschön ironischen Textes zwischen Haschisch-Philosophie und prätentiöser Intellektuellen-Lyrik: "You may stop reading at any point / You are reading words / If you read all the words in this text, you will have read a number of words / That is if you choose to read all the words ..."

Und so geht ein hochvergnüglicher Unsinn weiter und weiter seinen Weg, schwafelt die Wand voll. Das Sahnehäubchen auf dem Schneesturm. "Das stammt von Matt Burt, der auch in 'True Middle' spricht, ein amerikanischer Dicher. Er war schon auf 'Plan #1' vom 'Demon Box'-Album mit dabei. Er lebt jetzt hier und wir arbeiten textlich viel mit ihm zusammen. Dieser Text gibt dem Album eine Perspektive. Wenn man zwei Bilder nebeneinander an die Wand hängt, kommunizieren sie miteinander. Dasselbe versuchen wir mit diesen ganz und gar merkwürdigen Liner-Notes."

Der Ansatz, den dieser Text vermittelt, erinnert an Page Hamilton von Helmet, der sagte, daß er Melodien und Akkorde so lange zerlegt, bis nur noch ein Skelett bleibt. Natürlich darf auch ein traditionelles Marketing-Mittel wie ein Video-Clip nicht fehlen. Dazu wählten sie "The Nerve Tattoo" aus, das wie ein Popsong beginnt und am Ende zerfranselt in der Luft baumelt. Ferner wurde ihnen eine sonderbare Ehre zuteil. Jemand erstellte ungefragt eine inoffizielle Motorpsycho-Homepage. Aber mit Hilfe eines Freundes wollen sie dann doch etwas "Richtiges" ins Internet einspeisen. Und wie. Alle Texte, die sie je geschrieben haben und alle Setlists von allen Konzerten, die sie je gespielt haben! Könnte man spielend ergänzen durch eine Aufzählung aller Socken, die sie je anhatten. Der Hintergrund ist freilich ein typischer Motorpsychismus: Sie behaupten von sich, nicht ein einziges Mal eine Songreihenfolge live wiederholt zu haben.

Wiederholungen gibt es hingegen an einem anderen Ort. Durch die relativ kurzen Songs und die Harmonien auf "Blissard" werden sie mit Sicherheit Vorwürfe zu hören bekommen, daß der Abstand zu Sonic Youth zu gering geworden ist - wenn man das überhaupt Vorwurf nennen kann. "Sie sind eine meiner Lieblingsbands, und wir haben die gleiche Herangehensweise. Aber wir versuchen Pop-Songs zu schreiben. Das tun sie nie."

Vermutlich würden sie sehr wohl behaupten, das auch zu tun.

"Wahrscheinlich, aber ... ich weiß nicht. Auch Pearl Jam benutzen andersartige Gitarrenstimmungen. Wir haben vorher noch nie bewußt in dieser Richtung experimentiert. Natürlich jklingt es am Ende ein bißchen wie Sonic Youth, aber hoffentlich nicht zu sehr. Sie hatten mehr oder weniger ein Monopol auf diesem Gebiet."

Die ausgedehnten und schillernden Soundkreise, die ihre letzten Veröffentlichungen so ungeheuer mächtig wirken ließen, sind verschwunden. Schade, daß sie weg sind, aber auch schön, daß Motorpsycho nicht stehenbleiben. Sie fühlen sich einfach nicht in der Lage das Prinzip des Long-Songs noch verbessern zu können. Da kommt ihr etwas verkrampfter Selbstanspruch wieder zum Vorschein: Sie wollen immer etwas besonderes tun und sein, sie leben und wirken unter der ständigen selbstauferlegten Pflicht zur Veränderung, was bei Konzerten zweifellos seinen Reiz hat. So spielen sie mittlerweile ihren Smash-Hit "Nothing To Say" mit "Mountain" als Mittelteil. "Die Veränderung von 'Demon Box' zu 'Timothy ...' bestand darin, daß wir den Metal-Einfluß fast gänzlich entfernten, und diesmal haben wir die langen Stücke entfernt. Die Intensität soll auch in einem kürzeren Zeitraum erhalten bleiben, ... eigentlich soll sie gesteigert werden." Könnte ihre nächste Veröffentlichung demnach sogar Punk-Rock sein? Was wie ein flauer Witz klingt, kann Bent sich vorstellen. Zuklappen kann man offene Türen ja immer noch.

Bent, Snah und Gebhardt gehören zu einer kleinen und klugen Minderheit von Musikern, die ein einfaches Prinzip nicht nur erkannt haben, sondern auch umsetzen: Ein guter Song, eine griffige Melodie läßt sich in jedem stilistischen Kontext interpretieren. So entstand ihr Album "The Tussler", auf dem sie einen unbeschwerten Sonntagsausflug ins Country-Land unternahmen. Dabei spielten sie hauptsächlich eigene Stücke in anderer Stimmung und Instrumentierung neu ein. Viele Musiker sollten sich davon viele Scheiben abschneiden. Mehr davon, der Stoff ist gut! Mittlerweile sehen sie ein, daß die Auflage zu klein war, daher wird das Prachtstück Ende des Jahres wahrscheinlich als Doppel-10" auf Vinyl wiedrveröffentlicht.

Thomas Baumann