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  [media stories: german: 1995]



SPERRIGE SEELENBEWEGER - MOTORPSYCHO

Article / Interview taken from the
German alternative-rock-magazine VISIONS, March 1995.
German. Interview found in the depths of the mighty Stickman archives.
Thanks to Jeanette!


Motorpsycho sind Klassiker. Sie vereinen vieles in sich, was man als typische Indie-Tugenden zusammenfassen könnte: Einen zahlen- und qualitätsmäßig hohen Output, eine exotische Herkunft und die Fusion mehrerer Stile. Zum Thema Threepiece genügt es, die Namen (frühe) Motörhead, King's X, Nirvana in den Raum zu knallen: Dreier sind und waren schon immer...alles klar, alter Hut.

Drummer Gebhardt ist zu Hause geblieben. Während Snah schweigend die Bettwäsche betrachtet, räkelt sich Bent im Sessel meines Zimmers: »Also Leute, Kiff hin oder her, ich muß mir jetzt mal die Füße vertreten...am besten zurück ins Hotel und in die Heia.« Schon? »Tut mir leid, aber wir waren noch nie sowas wie Partytiere. Ich hoffe, du hast genug erfahren?!« Tja...

Hat jemand behauptet, daß Greg Ginn der größte Output-Berserker der Independent-Szene sei? Wegen lumpiger drei Platten im Jahr? Ein »Evening Out with Motorpsycho« hat mich eines Besseren belehrt. Wenn einem die Plattencover ihrer bisherigen Veröffentlichungen durch den Hinterkopf wirbeln, wundert man sich, daß die drei erst seit vier Jahren zusamenspielen. Drei LPs und vier vier EPs bzw. Mini-LPs tangieren die Obergrenze dessen, was eine normale Marketingmaschine verarbeiten kann. Und jetzt haben sie auch noch beschlossen, auf irgendeine Weise in irgendein Guiness-Buch einzuziehen. Erst dieses Jahr erschien »Another Ugly EP«. Dann begannen sie die Aufnahmen zu ihrem Großunternehmen »Timothy's Monster«. Eine Sahnetorte für Vinyl-Freaks, Kuriositätensammler und für Motorpsycho-Fans sowieso. Die Platte erscheint als Dreifach-Vinylausgabe (um die 40 Deuttschmark) und as Doppel-CD.

Tatort: Das gediegene ‘Hallmackenreuther’ in Köln, eine Fifties-Kneipe, deren Name Bent später fast fehlerfrei auszusprechen vermag. Auch wenn der dritte Mann abwesend ist, scheint Bent zweifelsfrei der Wortführer, der Kopf des Ganzen zu sein. Zugegeben, ihr klingt immer wieder hinreichend sperrig, dennoch, was wäre, wenn Euch der Rubel überrollen würde? Bent schüttelt den Kopf: »Auch wenn wir in Norwegen bei EMI sind, bedeutet das längst keinen Swimmingpool im Garten. Der bestverkaufende norwegische Künstler hat von einem Album etwa 400.000 Stück abgesetzt. Aber wenn trotzdem... Weißt du, es wird nicht passieren. Wenn die Kritiker ein Album von uns bejubeln, wird das nächste wieder ganz anders. Wenn die Fans bei einem Konzert nach »Nothing to say« schreien, spielen wir es nicht.«

O.K, überzeugt. Schließlich gibt es außer dem Band-Logo nur die klar umrissene Konstante 'Qualität', in einem Stil festfahren können sie sich gar nicht. Dazu sind sie einfach zu normal, interessieren sie sich wie jeder andere Mensch für zu viel unterschiedliche Musik. Nach den Aufnahmen zu »Timothy's Monster« konnten sie auch nicht lange mit dummen Gesicht herumsitzen, sondern besorgten sich Country-Instrumente, mieteten sich wieder im Studio ein und lieferten ihre ureigene Unplugged-Platte. »Tussler« enthält eigene Stücke, aber in derbsten Country-Outfit, mit Banjo und Akustik-Klampfe. »Es ist ein fiktiver Soundtrack, und seltsamerweise haben wir es geschafft, supergute Rezensionen zu diesem nicht-existenten Film zu bekommen. Wir hatten Bock darauf, also haben wir es gemacht. Es ist so einfach, wie es sein sollte.«

Nur das die arme Jeanette von ihrer deutschen Plattenfirma 'Voices of Wonder' rein gar nichts davon wußte, als die Bands zu Interviews anreiste, geschweige denn, wie sie es den Medienpartnern erklären soll: »Da kommt schon wieder 'ne neue von denen.«

Immer wieder wird das Gespräch von hitzigen Kämpfen am Tischfußball unterbrochen, einer der wenigen Momente, in denen der mitgereiste Snah aus sich herausgeht (er haßt seinen richtigen Namen Hans, es folgt der Umkehrschluß). Während Bent manchmal selbstverliebt über seine Musik spricht, glänzen Snahs Augen - außer beim Kickern - nur, als die Rede eine Weile später auf Can kommt. Doch Zeit zum Stellungswechsel. Die beliebte Frage lautet: In die nächste Kneipe oder Bier holen und bei mir zu Hause dem Körper THC zuführen? Die Kneipe ist voll, und man suche am Wochenende in Köln eine angenehme Lokalität, in der sieben Menschen Platz finden. Endlich entscheidet Snah für alle vernehmlich: »Kiffen«.

Wir entern meine Wohnstätte und Dutzende weiterer Gesprächsthemen. So nebenbei erwähnen sie, daß sie mit den Kölner Dread-Gruft-Rockern Amok Dread Attack eine Split-Single planen; daß sie am nächsten Tag in Spelle (irgendwo in Deutschland) einen Akustik-Gig spielen werden, der mitgeschnitten werden soll (jener fiel letztlich aus technischen Gründen flach); daß sie möglicherweise an einem Buch mitschreiben werden, welches Kapitel von Biafra, Rollins und Thurston Moore enthalte; daß auf dem neu gegründeten Label 'Stickman Records' als erste Veröffentlichung eine Five-Track-EP namens »Wearing Yr Smell« erscheinen solle; daß Bent als alter Metaller mal in einer Iron Maiden-Tribute-Band mitwirkte; daß sie neben sechzehn weiteren Bands aus ihrer Heimat Trondheim auf dem Sampler »Party Terror Vol.2« erscheinen; und so fort und so weiter. Keine Pause, kein Urlaub.

Zu den Trondheimern auf dem Sampler gehören z.B. die halbwegs bekannten Israelvis, Funny Farm und Hedge Hog. Ist denn eure Heimatstadt nicht öd und blöd, wenn ihr die Weltgeschichte so oft bereist? »Gar nicht. In Trondheim finden wir wirklich Ruhe. Da können wir runterkommen, Songs schreiben. In dieser Stadt wohnen nur 140.000 Menschen, da sind solche Aktionen möglich wie unser Video-Dreh neulich. Auf dem Fahrrad, mit tierisch wackelnder Kamera. No budget. So spontane Dinge kann man dort problemlos machen.«

Den Szene-internen Durchbruch besorgte das letzte Album »Demon Box«, und Bent analysiert brillant, daß der Nachfolger eines allseits gelobten Klassewerks schwerlich besser werden könne, aber doch irgendwie anders. »Timothy's Monster« läuft in die Zielgerade ein und verzichtet auf jene Keule, mit der sie zuletzt die Fan-Ohren bearbeiteten. Wovon kann man dann noch träumen, wenn man den ganz großen Erfolg sowieso ablehnt? Von einer Familie? Bent lacht: »Oh no, überhaupt keine Zeit für sowas. Träume, Ziele...? Ein Motorpsycho-Flipper, das wär was, so wie der von Kiss!«

An einer Stelle auf »Timothy's Monster« heißt es »If you find me, please remind me who I am«. Ich biete an: Ganz gleich, wo ihr seid, in eurer Nähe ist auf jeden Fall immer Musik.

Thomas Baumann