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Alles, nur nicht Durchschnitt
Motorpsycho ist das Experiment "Phanerothyme" geglückt

Interview with Bent after the autumn tour 2001
taken from the German portal [not to be confused with the tv channel]
VIVA.DE, 2001.
In German. Found at the viva.de site.


Motorpsycho in 2001
 
Workaholics der Rockmusik:
Motorpsycho gehen schon wieder ins Studio.
(Bild: Stickman Records / Indigo)
 
(tsch) Norwegens Rock-Export Nummer Eins hat, wie bisher fast jedes Jahr, ein gutes Album am Start. Die fleißigen Nordlichter beglücken den alternativen Rockfan nun schon seit über zehn Jahren mit ausgereiftem Songgut, egal ob es nun Noise, Stonerrock, Balladen oder Retromucke sein soll. Das Rockuniversum des Trios kennt keine Grenzen, das Wort Durchschnitt kennen sie nicht. Mit "Phanerothyme" steht seit September 2001 ein reifes Werk in den Läden, das beschwingt vor allem die 60er-Jahre wieder aufleben lässt.


 
Motorpsycho - «Phanerothyme» - cover - front
 
Ein Album ohne "lärmende und störende Elemente":
"Phanerothyme" von Motorpsycho.

Sänger und Bassist Bent Saether gab nach ihrer ausgiebigen Herbst-Tournee Auskunft über den aktuellen Stand im Hause "Motorpsycho".

VIVA: Eure letzten beiden Alben zeigen eine deutliche Tendenz hin zu Klängen aus den 60er- und 70er-Jahren, man hört Folk und Rock, etwa Nick Drake oder The Doors, aber kaum noch harte Klänge. Hattet ihr schon immer eine Schwäche für diese Musik, oder passen Wutausbrüche nicht mehr in Euer musikalisches Konzept?

Bent: Bei diesem Album wollten wir, dass sowohl in der Produktion als auch in der Typisierung der Songs Klarheit und Konstanz gewährleistet ist. Seit wir bei der Produktion weniger Drumloops und angesagte Plug-Ins verwenden, vermuten einige Leute gleich, dass wir Retro machen. Uns geht es aber ausschließlich um die Frage des Geschmacks, denn wir lieben einfach diesen Sound, so einfach ist das. Früher waren auf Motorpsycho-Alben immer diese stilistischen Anomalien und Schallanhäufungen jeglicher Art vertreten, oft bis zu einem schizoiden Ausmaß. Dieses Mal wollten wir jedoch ein Album machen, dass nicht den Fokus verliert, den wir von Anfang an im Visier hatten – nämlich alle lärmenden und störenden Elemente außen vor lassen. Wir wollten eine homogene Platte und machten sie einfach ...

VIVA: Die neuen Songs klingen abgespeckter und etwas beschwingter als noch auf dem Vorgänger "Let Them Eat Cake".

Bent: Dieses Mal haben wir uns bereits stark auf die Kompositionen konzentriert, als diese sich noch im Entwicklungsstadium befanden. Wir fanden heraus, dass wir alle Instrumente – auch die, die im Hintergrund agieren – nur dann klar herausfiltern können, wenn wir das Material vor den Aufnahmen minutengenau ausarbeiten. Im Studio war die Arbeit deshalb viel zielgerichteter und direkter. Wenn die Songs dadurch dann angeblich abgespeckter klingen, O.k., dann soll es von mir aus so sein.

VIVA: Darüber hinaus ist die Platte erheblich kürzer ausgefallen als andere MP-Veröffentlichungen. habt Ihr keine Lust mehr auf 15-minütige Epen?

Bent: Doch, aber der Drang neue Dinge zu bewältigen, führte und auf diesen Weg. Wir fühlen, dass wir mittlerweile wissen, wie Mammut-Epen aufgebaut sind, und unsere Veränderung besteht nun darin, mehr zu fokussieren und zu straffen als zu expandieren und auszuwinden. Die Länge des Albums war eine bewusste Entscheidung: Die Aufmerksamkeitsspanne der Leute verkürzt sich mehr und mehr, niemand hört doch nach 45 Minuten noch richtig hin. Warum sollten wir also gute Songs einfach verschwenden, indem wir sie hinten dran hängen, nur damit das Album länger ist?

VIVA: Vor "Phanerothyme" habt Ihr die EP "Barracuda" veröffentlicht, ein Sammelsurium klassischer Rocksongs zum Partymachen. Stilistisch gesehen, passt diese EP weder zu "Let Them Eat Cake" noch zu "Phanerothyme". Soll dieser Umstand die Tatsache untermauern, dass Motorpsycho unberechenbar sind, oder war das alles nur Zufall?

Bent: "Barracuda" war im Grunde eine Platte mit Rock'n'Roll-Songs, die nicht in den Kontext von "Let Them Eat Cake" passten. Wenn wir Songs aufnehmen, denken wir nicht viel über die stilistische Zugehörigkeit nach. Wir fühlen, wie oder was ein Stück sein soll und betrachten die darin enthaltenen Möglichkeiten, um so den Song bestmöglich für uns zu konservieren. Um mit dieser Einstellung zu arbeiten benötigt man einen offenen Geist: Wir sehen den Wert von fast allen Musikstilen und benutzen diese, falls es dem Song zugute kommt. Letztendlich sind es wir, die spielen, und alles was wir tun klingt eben nach uns. Die Frage ist nicht, ob wir alle uns beeinflussenden Stile eigentlich meistern und darüber stehen; es geht eher um den Reiz dessen, dass so eine Situation überhaupt für uns existiert. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass das wir dann am besten musizieren, wenn wir gar nicht genau wissen was wir tun, aber trotzdem alles geben.

VIVA: Die "Barracuda"-EP wurde vor ihrer Veröffentlichung bei Napster gesichtet, und Eure letzte LP gab's vorab nur als Tape. Habt Ihr Angst vor der illegalen Verbreitung eurer Musik durch das Internet?

Bent: Ja, diese Geschichte machte uns eine zeitlang ganz schön paranoid! Illegale Verbreitung ist ziemlich übel für uns. Wir sind keine Rockstars, die ein paar fette Millionen auf der Bank haben. Wenn das noch ein paar mal passieren sollte, werden wir unsere Jobs in der Band nicht mehr ausüben können. Wir sind auf die kümmerlichen Tantiemen, die wir bekommen, angewiesen. Nur so können wir unsere Zeit im Proberaum und im Studio verbringen. Würde ein Viertel unserer Einnahmen fehlen, müssten wir uns nach anderen Jobs umsehen, um überleben zu können. Die Musik würde natürlich darunter leiden. Es bleibt letztendlich in der Hand der Fans: Wenn sie weiterhin von uns gute Ergebnisse hören wollen, wissen sie was zu tun ist ...

VIVA: Alben wie "Trust Us" oder "Angels And Demons At Play" habt Ihr in nur ein bis zwei Wochen eingespielt. Wie lange habt Ihr für "Phanerothyme" gebraucht?

Bent: Wir nahmen innerhalb von sechs Wochen 15 Songs in den Lydlab Studios in Oslo auf. Wir benutzten analoge 24 Spuren für die Basic Tracks. Nachbearbeitet und gemixt wurde das Material digital unter Verwendung von Protools-Software. Wir haben das zum ersten Mal so gemacht, und es war sehr spaßig. Die Songs wurden von einem Typen namens Ulf Holand aufgenommen, der auch schon mit "A-ha" gearbeitet hat. Produziert hat wie immer Deathprod (Techniker und Hausproduzent der Band, die Red.). Neben unserem Freund Baard waren noch ungefähr 16 andere Musiker dabei, die den Streicher- und Blasinstrumententeil übernahmen. So viele Leute waren noch nie am Entstehungsprozess einer Motorpsycho-Platte beteiligt. Es kickt dich total, wenn du andere Menschen deine Musik spielen hörst!

VIVA: Das Coverartwork zu "Phanerothyme" zeigt erstmals ein Mitglied der Band. Vorher wurde alles erdenkliche als Motiv gewählt, doch Bilder der Menschen hinter der Musik fand man nie. Wollt Ihr ab jetzt mehr von Euch preisgeben?

Bent: Snah war 1992 schon einmal auf dem Cover der "Soothe"-EP; es wurde Zeit, dass ich jetzt mal an der Reihe bin. Geb wird dann das Cover im Jahr 2007 schmücken ... Nein, eigentlich ist für das Artwork Kim Hiorthøy verantwortlich. Er kreiert unsere Cover seit 1993. Wir wissen, dass der Typ ein Künstler ist, und deshalb lassen wir ihn einfach machen, da Künstler gemeinhin am besten agieren, wenn man sie – soweit es eben möglich ist – einfach machen lässt. Wir verstehen nicht immer, was er tut, und manchmal stimmen wir mit ihm auch nicht überein, aber nach einiger Zeit ergibt es irgendwie jedes Mal doch einen Sinn. Was letztendlich Kims Gründe waren, mein Gesicht auf das Cover zu bringen weiß ich nicht.

VIVA: Was bedeutet der Titel des Albums?

Bent: Das Wort "Phanerothyme" wurde von Aldous Huxley (der den Roman "Schöne neue Welt" verfasste, die Red.) in den 50-ern erschaffen, um einen Umstand zu beschreiben, den wir heute als "Psychedelia" kennen. Ist ein schönes Wort, oder? Und passt wunderbar für unseren Zweck!

VIVA: Ihr kommt aus Trondheim in Norwegen. Bis heute seit Ihr nie weg gezogen, Ihr hängt wohl sehr an Eurer Stadt?

Bent: Was soll ich sagen. Es ist halt unser Zuhause! Wir haben hier alles was wir brauchen, und sind glücklich, dem Rummel so weit wie möglich aus dem Weg gehen zu können. Es ist hier ziemlich perfekt für uns. Ich glaube ehrlich nicht, dass beispielsweise das Leben in New York uns zu einigem mehr inspirieren würde als zu intensivem Abhängen und Partymachen.

VIVA: Als Live-Band macht Ihr immer eine verdammt gute Figur. Obwohl die Setlists und die Interpretationen der Songs nie vorhersehbar sind, ist ein Motorpsycho-Konzert immer ein bisschen wie heimkommen. Man hat den Eindruck, dass Ihr am liebsten live spielt, und das Studio nur dazu nutzt, Eure Ansammlung von Ideen zu dokumentieren und zu kanalisieren.

Bent: Nicht unbedingt, aber bis zu einem bestimmten Ausmaß trifft das sicher zu. Grundsätzlich gibt es für uns zwei Welten, in denen wir uns auf vollkommen verschiedene Dinge fokussieren. Deine Frage ist wahrscheinlich genauso berechtigt, wenn Du die Argumentation umkehrst. Tatsache ist, dass bei uns keine festen Schemata existieren, weil jede unserer Vorgaben sich verändern wird, sobald wir uns auf eine geeinigt haben. Deshalb ist es schwierig, über solche Dinge genau Auskunft zu geben. Eine Sache ist uns aber seit den Anfangstagen immer wichtig geblieben, nämlich beim live spielen die Songs je nach Lust und Laune zu verändern und unterschiedlich zu interpretieren. Die Stücke, die in der Setlist enthalten sind, sind oft nicht unbedingt die Hits, sondern diejenigen, zu denen wir uns an diesem Abend hingezogen fühlen. Manchen Liedern verpassen wir oft eine improvisatorische Grundlage, während sich andere Songs mehr an der Originalvorlage orientieren. Auf diese Weise fühlen sich die Songs "wahrer" an und bleiben für uns frisch.

VIVA: Was steht bei Motorpsycho als Nächstes an?

Bent: Snah und ich arbeiten gerade die Musik für ein Kinderstück aus, das hier bei uns am örtlichen Theater aufgeführt werden soll. Das wird einige Monate dauern. Danach müssen wir an einigen Songs Feinarbeiten durchführen, bevor es im Februar wieder zurück ins Studio geht. Dort werden wir einige neue Stücke aufnehmen und an dem Material weiterarbeiten, das von den "Phanerothyme"-Sessions übrig geblieben ist. No rest for the wicked!

Constantin Aravanlis