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  [media stories: german: 2000]



MOTORPSYCHO
Von Kopflosen und Gewinnern

Article taken from the
German magazine
WESTZEIT, February 2000.
German. Found at the westzeit-site.


Motorpsycho

Über zehn Jahre ist es nun schon her, dass sich vier junge Norweger aus einem alten Wehrmachtsbunker heraus aufmachten, Europas ambitionierten, sensiblen Psych-Rock-Jüngern das zu geben, wonach sie insgeheim forschten: tadellose Popnummern und viertelstündige in Gitarrenorgien schwelgende, von wunderbarem Fluss gekennzeichnete Psych-Hymnen abseits jeglicher Medientauglichkeit sowie eine Rastlosigkeit, die jedes Jahr ein Studioalbum erzeugte. Nun, seit drei Jahren gesund zum Trio geschrumpft, haben sie erstmals mit dieser Tradition gebrochen und sich viel Ruhe gegönnt. Ruhe, die sich auch auf dem Album mit Wohlbehagen ausbreitet. Wer nach fast zwei Jahren fieberhaft eine weitere "Demon Box", "Timothy´s Monster" oder "Trust Us" erwartet, darf sich enttäuscht sehen. "Let Them Eat Cake" ist poppig, jazzig und wie aus einem Guss! Sinneswandel am Ende einer Dekade?

"Wir hatten endlich mal wieder Zeit, über andere Dinge als Motorpsycho nachzudenken. Wir befreiten uns von der (Tourbus)-Enge, machten unabhängig voneinander Urlaub und kamen völlig relaxt und voller neuer Impulse wieder zusammen. Wir alle schwärmen für die Pop-Musik der End-60´er mit ihren orchestralen Begleitinstrumenten. Beatles, Beach Boys, Byrds, um nur einige zu nennen, konnten uns immer schon begeistern. Die Beatles haben zu jener Phase einen Break gemacht, also warum wir nicht auch? Schon in der Anfangsphase (das neue Album entstand im Sommer) kristallisierte sich der Wunsch heraus, eine Platte mit etwa 40 Minuten Spielzeit rauszubringen, das aus Liedern bestand, die allesamt nicht länger als vier Minuten dauerten. Angesichts der Vorgängeralben eine grosse Herausforderung."

Tatsächlich haben sie dieses Ziel annähernd erreicht - und sind sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis. Können sie auch, denn es gelang ihnen, ein vollkommen homogenes, vor gewitzten Ideen, souligen Bläsern, gediegenen Streichern sowie "Good Vibrations" sprudelndes und tiefgründiges Werk mit positiver Ausstrahlung in die Welt zu setzen - ohne eingängig zu wirken und, was noch höher zu bewerten ist, ohne Identitätseinbußen!
Motorpsycho bleibt Motorpsycho - das hört man auch abseits vertrauter Pfade, wenn plötzlich sowohl Bassist Snah als auch Drummer Hakon (zu recht) singen dürfen, was der Variabilität gut tut.

"Dass die neue Platte das Ergebnis intensiver Zusammenarbeit ist, versteht sich von selbst. Wir haben uns die Stücke immer und immer wieder angehört. Jedes einzelne wuchs aufgrund penibler Detailarbeit über einen grossen Zeitraum. Als wir glaubten, die Songs seien fertiggestrickt, mit ihnen ins Studio gingen und sie aufnahmen, waren wir immer noch nicht zufrieden. Nach wiederholtem Anhören des Masterbandes entschieden wir uns dafür, ein Stück zu entfernen, so dass wir remastern mussten. Dann erst war endgültig Schluss!"

"Let Them Eat Cake" ist allerdings nur die halbe Wahrheit der derzeitigen Band-Aktivitäten. Auf ihrer 99er-Amerika-Tournee lernten sie den verdienten Frank Kozik, Künstler und Labeleigner von "Man´s Ruin", kennen. Er, der auch schon die norwegischen Export-Schlager Turbonegro und Gluecifer unter seinen Fittichen hatte, war begeistert von dem Vorschlag der Kooperation und schickt sich an, die Jungs in den Staaten zu Ruhm und Ehren kommen zu lassen. Dafür spielten Motorpsycho zeitgleich ein zweites, angeblich gewohnt rockiges Album ein, das etwa Mitte des Jahres als 7-Track Mini-Album unter temporärer Fusion von Stickman und Man´s Ruin zu "Stickman´s Ruin" veröffentlicht wird.

Im Frühjahr geht´s dann, durch einen glücklichen Umstand leicht gesponsert vom Norwegian National Radio, wieder auf Europa-Tournee. Dieses rief gegen Ende des letzten Jahres einen Wettbewerb aus, in dem es per Mouse-Click im Internet einen Song auszuwählen galt, der am Silvestertag ganztägig gespielt werden sollte. Europe ("The Final Countdown") und Motorpsycho ("Vortex Surfer" -> auf "Trust Us") lieferten sich dabei trotz namhafter Konkurrenz aus Rest-Europa einen erbitterten Zweikampf, den unsere norwegischen Helden um Saitenlänge für sich entscheiden konnten. Gut so, denn das Touren verlangt Investitionen und frieren will man im Winter ja auch nicht in der Holzhütte! Bleibt der Titel. Auf die Frage, was man dem armen notleidenden Volk im Krieg zu essen gebe, da es kaum noch Brot zu essen gab, antwortete die damalige Französische Königin Marie Antoinette (übersetzt): "Gebt Ihnen Kuchen!" - Einige Jahre später wurde sie enthauptet...

Marco Pawert